00:00:03: Die chinesische Mauer, die Tempelanlagen von Angkor Wat in Kambodscha oder die Pyramiden von Gizeh.
00:00:09: Aber auch das markgräfliche Opernhaus in Bayreuth oder direkt hier bei uns vor der Haustür die historische Altstadt von Regensburg.
00:00:17: Das alles sind Unesco-Weltkulturerbestätten und damit gleichzeitig der Stolz der Anwohner und ein großer Touristenmagnet.
00:00:25: Aber wie sieht es aus mit dem Zwiefachen, mit Spitzenklöppeln oder Kasperltheater?
00:00:30: Auch die stehen auf der Liste der Unesco, und zwar als Immaterielles Kulturerbe.
00:00:35: Was das genau ist und warum das schützenswert ist, darum geht es in dieser Folge des Gasthörer.
00:00:40: Hier bei mir im Studio ist dafür Professor Dr. Manuel Trummer. Hallo Manuel, herzlich willkommen an dich.
00:00:47: Ich bin Katharina Herkommer, schön, dass ihr zu Hause auch wieder dabei seid, hier beim Wissenschaftspodcast der Uni Regensburg.
00:00:53: Gasthörer
00:01:02: Manuel, sag mal direkt, jemand, der sich mit Unesco Welterbe beschäftigt,
00:01:07: bist du einer von denen, die in ihrer Kindheit von ihren Eltern jedes Wochenende von Museum zu Museum geschleppt worden sind?
00:01:12: Und ist da was hängen geblieben oder kann deine Kinderstube nichts für deinen Job?
00:01:17: Tatsächlich eher weniger die Museen, aber wir hatten in der Familie tatsächlich immer so ein Interesse für lokale Geschichte.
00:01:23: Also mein Vater war so eine Art Hobbyhistoriker, das war seine Leidenschaft.
00:01:28: Er hat sich mit Sagensammlungen aus der Region auseinandergesetzt und ich glaube, da ist vielleicht ein bisschen was hängen geblieben, sodass ich mich später eben auch für regionale Geschichte und Bräuche, Rituale und so weiter interessiert habe.
00:01:40: Also schon ein bisschen in die Wiege gelegt.
00:01:43: Lass mich dich kurz richtig vorstellen.
00:01:45: Du bist außerplanmäßiger Professor und akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Vergleichende Kulturwissenschaft hier bei uns an der Uni Regensburg und du hast auch hier studiert und promoviert.
00:01:55: Und zwischendurch warst du fünf Jahre lang Leiter des Unesco Geopark Informationszentrums Waldürn im Odenwald, hast aber parallel dazu immer wieder auch hier an der Uni Regensburg weiter unterrichtet und geforscht.
00:02:07: Außerdem warst du außerordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und bist Mitglied im Fachkomitee Immaterielles Kulturerbe der Deutschen Unesco-Kommission.
00:02:17: Ich würde mal sagen, der perfekte Mann, wenn man jemanden zum Thema Welterbe und Kulturerbe Löcher in den Bauch fragen will, was begeistert dich denn grundsätzlich an dem Thema?
00:02:26: Das ist ein Thema, das sehr viel über unsere Gesellschaft verrät.
00:02:31: Also die Frage, was wir mit diesem Titel Immaterielles Kulturerbe auszeichnen, das ist immer auch ein Spiegelbild von herrschenden Normen, Werten in der Gesellschaft, was unsere Gesellschaft gerade als schützenswert, als besonders erachtet.
00:02:47: Und das ist sehr spannend, weil sich diese Werte letztlich auch sehr schnell verschieben können.
00:02:53: Und für mich als Kulturwissenschaftler ist es somit auch ein schönes Instrument, um Kulturanalyse zu betreiben und es ist einfach ein sehr schönes diverses Feld, über das wir viel über unsere Gesellschaft lernen können.
00:03:05: Was auch dazu kommt, ist, dass wir vielleicht auch für unsere Zukunft viel aus dem Immateriellen Kulturerbe rausholen können.
00:03:11: Praktiken von Nachhaltigkeit sind in vielen traditionellen Praxen angelegt und da sollten wir mal wieder näher hinschauen.
00:03:18: Da werden wir später auf jeden Fall noch mal drauf kommen.
00:03:21: Ich habe gesagt, du bist Mitglied im Fachkomitee Immaterielles Kulturerbe.
00:03:26: Was ist denn das genau? >Was muss ich mir darunter vorstellen?
00:03:29: Das Fachkomitee Immaterielles Kulturerbe ist ein Expertengremium.
00:03:33: Wir entscheiden gewissermaßen alle zwei Jahre, welche Kulturformen auf das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen werden.
00:03:44: Gleichzeitig leiten wir Vorschläge weiter an die Unesco in Paris, Vorschläge für die weltweite Liste des Immateriellen Kulturerbes.
00:03:52: Und hier treffen wir eine Auswahl, hier wird diskutiert, hier wird beraten und hier werden dann die Entscheidungen getroffen.
00:03:59: Das heißt ja, dass ihr da auch eine ziemlich verantwortungsvolle Aufgabe habt.
00:04:03: Wenn ihr da was entscheidet, was geschützt wird oder nicht, dann kriegt es ja vielleicht auch wieder eine neue Bedeutung.
00:04:08: Oder wie kommt man denn dahin, dass man eine dieser Personen wird?
00:04:11: Ja, das ist richtig. Also der Prozess des Erbens und des Vererbens, der geht mit so einer Bedeutungsverschiebung einher.
00:04:17: Der Wert dieser Kulturform oder dieses Objekts verändert sich in der Regel zum Positiven.
00:04:23: Geht einher mit einer neuen Wertschätzung, geht einher mit einem Reflektionsprozess, man macht sich Gedanken drüber.
00:04:29: Man lernt vielleicht sogar etwas über sich selber.
00:04:31: Und das ist tatsächlich wichtig als gesellschaftliche Praxis und als kulturelle Praxis.
00:04:37: Wie kommt man rein in so ein Gremium?
00:04:40: Ja, ich beschäftige mich seit Jahren letztlich auf beruflicher Ebene mit Fragen von Kulturerbe und habe zu dem Thema publiziert und ab einem bestimmten Punkt hat man wohl einen gewissen Ruf in der Fachcommunity und da hat mich dann der Ruf ereilt.
00:04:54: Ich glaube, es war 2022 dürfte es gewesen sein und meine sozusagen Legislaturperiode in diesem Gremium hat dann 2023 begonnen und dauert in der Regel vier Jahre.
00:05:08: Also das heißt, es ist kein Job, auf den man sich bewerben kann?
00:05:10: Nein, man wird ausgewählt tatsächlich.
00:05:13: Lass uns nochmal einen Schritt zurück machen.
00:05:15: Ich habe jetzt gerade die ganze Zeit wie selbstverständlich vom Immateriellen Kulturerbe gesprochen und du natürlich auch, weil das Teil deiner Forschung ist.
00:05:23: Aber was ist denn Immaterielles Kulturerbe überhaupt?
00:05:27: Das Unesco-Welterbe, das ist ja bekannt, das ist im Allermunde, das ist ein Konzept, das auch touristisch wahnsinnig erfolgreich ist.
00:05:35: Das Konzept des Immateriellen Kulturerbes ist ein bisschen jünger.
00:05:38: Also es geht weniger um das große, monumentale, einem klassischen bildungsbürgerlichen Ideal entsprechende, sondern es ist das lebendige Kulturerbe.
00:05:47: Und ganz wichtig ist da die Bedeutung einer Kulturform für eine Gemeinschaft.
00:05:54: Bedeutung also beispielsweise identitätsstiftend - wie trägt es zum Zusammenhalt bei?
00:06:01: Wie trägt es zu einer gewissen Kontinuität innerhalb einer Gemeinschaft bei?
00:06:06: Wie vitalisiert es letztlich auch eine Community?
00:06:08: Also vor allem diese lebendige Überlieferung, das ist ganz zentral.
00:06:12: Und da stehen eben vor allem Wissen, Können, Handwerkspraxen, Wissen über die Natur und so weiter und so fort im Mittelpunkt.
00:06:20: Ein sehr dynamisches Konzept, das auch noch nicht zu Ende formuliert ist, habe ich den Eindruck.
00:06:25: Und in den letzten Jahren ist sehr viel Leben reingekommen. Ja, und darum kümmern wir uns.
00:06:31: Also viele Gedanken, die dahinter stecken.
00:06:34: Kannst du es ein bisschen konkreter machen für uns? Kannst du ein paar Beispiele uns geben?
00:06:37: Ja klar, also wir haben ja inzwischen im bundesweiten Verzeichnis, des Immateriellen Kulturerbes 144 Einträge.
00:06:44: Also auf deutschlandweiter Ebene und das sind ganz unterschiedliche Sachen.
00:06:48: Ein Eintrag, der für Aufsehen gesorgt hat, war Hip-Hop in Heidelberg.
00:06:52: Wir haben Poetry Slams.
00:06:54: Auf der anderen Seite haben wir viele traditionelle Bräuche und Festkulturen.
00:06:58: Hier in Ostbayern ist wahrscheinlich der Furter Drachenstich sehr bekannt, der immense Bedeutung für die Bevölkerung hat.
00:07:04: Aber auch der Rheinische Karneval.
00:07:06: Dann haben wir traditionelle Handwerkstechniken.
00:07:08: Hier in Ostbayern hätten wir beispielsweise die Tradition des Spitzenklöppelns, im Oberpfälzer Wald Traditionen des Christbaumschmucks in Lauscha, in Thüringen und noch viele mehr.
00:07:18: So vielfältig von Hip-Hop bis Christbaumschmuck.
00:07:22: Warum gelten diese Dinge als schützenswert?
00:07:26: Die gelten als schützenswert, denke ich, weil sie vor Ort für die Community eine irrsinnige Bedeutung haben.
00:07:33: Die Bevölkerung identifiziert sich damit, sie sind Teil des lokalen Lebens.
00:07:39: Sie werden von dieser Bevölkerung und von den Trägergruppen teilweise über Jahrhunderte weitergegeben.
00:07:46: Man ist stolz darauf, es trägt zum regionalen Selbstbewusstsein bei.
00:07:50: Aber es ist auch schützenswert, weil viel überliefertes Wissen drinsteckt.
00:07:55: Wissen und Können, das auch in der heutigen Zeit womöglich einen großen Nutzen hat.
00:08:01: Beispielsweise die traditionelle Wiesenwässerung.
00:08:04: Das ist eine Praxis, die gerade sehr viel Aufmerksamkeit bekommt, weil wahnsinnig viel Wissen über Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft drinsteckt.
00:08:12: Und das rückt immer mehr in den Fokus.
00:08:14: Und oft lohnt sich der Blick eben auf diese traditionell überlieferten Kulturformen, weil wir dadurch auch viel über unsere Art zu leben und unser Verhältnis zur Welt lernen können, wie wir mit unserer Umwelt umgehen können.
00:08:27: Und all das macht diese Formen in ihrer Diversität, in ihrem Pluralismus letztlich schützenswert.
00:08:34: Sie sind kurz gesagt etwas Besonderes, auf das die Bevölkerung zu recht stolz ist, auf das die Trägergruppen, die dahinterstehen, zu recht stolz sind und das wesentlicher Teil ihres Selbstbewusstseins, ihrer Identität ist.
00:08:47: Aber du hast gesagt, es geht jetzt nicht darum, was zu schützen, nur weil es alt ist, sondern es muss auch aktiv gelebt werden noch in der Region?
00:08:57: Ganz genau, das ist richtig.
00:08:58: Das ist übrigens ein Missverständnis, das wir oft haben bei den Bewerbungsprozessen.
00:09:02: Also viele Bewerberinnen und Bewerber, viele Trägergruppen bewerben sich mit der Vorstellung, es muss möglichst alt sein.
00:09:08: Wir müssen in unserem Bewerbungsschreiben also möglichst eine Kontinuität, am besten bis zurück zu den Germanen oder zu den Römern nachweisen, dann ist es schützenswert.
00:09:16: Das interessiert uns weniger.
00:09:18: Meist sind diese Kontinuitäten sowieso hochgradig konstruiert oder erfundene Traditionen.
00:09:25: Was wichtig ist, ist die Lebendigkeit.
00:09:28: Es sollte ausgeübt sein, es sollte also keinen Showcharakter haben.
00:09:31: Es sollte kein kommerzielles Event sein, das nur zu Publikumszwecken dient, sondern wir wollen sehen, es ist ein lebendiges Erbe, das für die Community vor Ort und für die Trägergruppen eine Bedeutung hat.
00:09:43: Das sie zusammenhält, auf das sie stolz sind, das vielleicht auch die Region ein Stück weit vitalisiert.
00:09:48: Das ist einfach was, was ganz maßgeblich in der Region verankert ist und dort zum Leben in der Region beiträgt.
00:09:55: Das ist wesentlich wichtiger als eine lange Kontinuität, die bis ins Mittelalter zurück konstruiert wird, was meistens sowieso nicht historisch verifizierbar ist.
00:10:04: Und wie muss ich mir das vorstellen:
00:10:05: Fahrt ihr aus dem Gremium dann jeder in seiner Region rum und guckt, was es da Spannendes gibt und bringt das mit oder wie funktioniert das?
00:10:11: Nein, wir schlagen nichts vor, das ist ein ganz wichtiger Unterschied.
00:10:16: Es ist ein Bottom-up-Prinzip, könnte man sagen.
00:10:18: Das heißt, die Vorschläge kommen tatsächlich von den Trägergruppen, also denen, die diese Kulturformen tatsächlich leben und praktizieren.
00:10:27: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir wollen, dass die Bevölkerung sich selbst bewirbt und das hat mehrere Gründe.
00:10:32: Ein Grund dafür ist, dass mit diesem Kulturerbe-Bewerbungsprozess schon so ein gewisser Lerneffekt einsetzt.
00:10:40: Und ein guter erster Schritt ist, dass sich die Trägergruppen erst mal selbst bewusst werden, was haben wir denn da eigentlich Besonderes?
00:10:48: Wie können wir das letztlich am Leben halten?
00:10:52: Was gehört alles dazu?
00:10:53: Wer gehört alles dazu?
00:10:55: Eine ganz wichtige Frage, für wen sprechen wir eigentlich, wenn wir sagen, das ist unser Kulturerbe, das ist unser Eintrag?
00:11:01: Gibt es womöglich auch Personengruppen, die wir ausgrenzen?
00:11:04: Also es gibt beispielsweise nach wie vor viele Bräuche und Festkulturen, bei denen Frauen als Teilnehmerinnen ausgegrenzt sind und außen vor bleiben.
00:11:12: Also es setzt mit diesen Bewerbungsverfahren schon mal so ein kleiner Bewusstseinsprozess ein vor Ort, mit dem hoffentlich dann auch so ein Lerneffekt eingeht.
00:11:22: Und damit ist die halbe Miete schon gemacht.
00:11:24: Die Bevölkerung vor Ort, die Trägergruppen werden sich bewusst, dass sie etwas haben, das ihnen wichtig ist.
00:11:28: Und damit setzt womöglich auch der zweite Punkt ein, nämlich so eine gewisse Wertschätzung.
00:11:33: Also die Frage, wie halten wir das jetzt lebendig?
00:11:35: Es hat Bedeutung für uns, wir müssen uns darum kümmern.
00:11:39: Und da denkt man dann darüber nach, okay, wie machen wir das am besten?
00:11:42: Und da entsteht dann vielleicht ein dritter Effekt, nämlich es werden Netzwerke geknüpft.
00:11:46: Man geht vielleicht an die Uni und lässt sich beraten, man geht in die Museen, lässt sich beraten.
00:11:50: Es entstehen neue Netzwerke und es sind wichtige Netzwerke, auf die man sich dann auch zurückziehen kann bei anderen Themen, auch außerhalb des Bereichs Kulturerbe.
00:11:58: Also es sind vielerlei Effekte, die bereits mit diesem Bottom-up-Verfahren einhergehen.
00:12:02: Es ist ein Lernprozess, der gewissermaßen unabhängig vom Erfolg der Bewerbung in dem Moment einsetzt, in dem sich die Leute vor Ort zusammensetzen und sich bewusst werden:
00:12:10: Hey, wir haben hier was ganz Besonderes und wir wollen uns besser darum kümmern, dass wir nicht von oben sagen, hey, ihr müsst das schützen, sondern dass die Bevölkerung selbst sagt, wir wollen uns darum kümmern, weil das ist Teil unseres Lebens hier und das macht uns aus.
00:12:25: Wir sprechen jetzt gerade die ganze Zeit über den Titel der Immateriellen Kulturerbe.
00:12:29: Am Anfang wollte ich immer sagen, Immaterielle Weltkulturerbe, weil man eben dieses Weltkulturerbe so im Kopf hat.
00:12:34: Die klassischen Weltkulturerbestätten, die sind ja einfach mit Abstand am bekanntesten.
00:12:40: Aber es gibt definitiv noch mehr und deshalb habe ich meine Kollegin Margit Scheid gebeten, sich für uns zu dem Thema ein bisschen schlau zu machen.
00:12:51: Die UNESCO ist eine der 17 Sonderorganisationen innerhalb der Vereinten Nationen.
00:12:56: Die Abkürzung steht für United Nations Educational, Scientific, and Cultural Organization. Also die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur.
00:13:09: Ihr Sitz ist in Paris.
00:13:11: Seit den 1950er Jahren verabschiedete die UNESCO mehrere Konventionen zum Schutz von Kulturgut.
00:13:18: Der Anstoß zur eigentlichen Welterbe-Konvention kam im Jahr 1960.
00:13:24: In Ägypten gefährdete damals der Bau des Aswan-Staudamms am Nil Jahrtausende alte Baudenkmäler.
00:13:31: Die UNESCO forderte weltweit dazu auf, die Denkmäler zu retten.
00:13:36: Tatsächlich wurden mehrere Tempel abgetragen und knapp 200 Meter Land einwärts wieder aufgebaut.
00:13:43: Danach stieß die UNESCO die Ausarbeitung der Welterbe-Konvention an.
00:13:47: Sie wurde 1972 verabschiedet und soll das Kultur- und Naturerbe der Menschheit schützen und bewahren.
00:13:55: 1978 wurde die Welterbeliste mit 12 Städten des Weltkultur- und Naturerbes eröffnet, darunter der Aachener Dom und der Yellowstone Nationalpark.
00:14:07: Heute umfasst die Liste fast 1200 Stätten in 168 Ländern.
00:14:14: Der Begriff Welterbe wird heute auch synonym für einzelne Welterbestätten verwendet, die zum Unesco-Welterbe gehören.
00:14:22: In den letzten Jahrzehnten hat die Unesco aber noch weitere Programme ins Leben gerufen, die alle zusammen das UNESCO Kultur- und Naturerbe bilden.
00:14:32: Die Liste der Welterbestätten ist also nur ein Teil davon. 2001 wurde z.B. die Konvention zum Schutz des Kulturerbes unter Wasser verabschiedet.
00:14:42: Entsprechend gibt es seit 2009 eine Liste von bedeutenden Zeugnissen menschlicher Kultur, die mehr als 100 Jahre unter Wasser gelegen haben.
00:14:53: Also z.B. Schiffswracks oder versunkene Städte.
00:14:56: Das Weltdokumentenerbe dagegen schützt z.B. besondere Bücher, Handschriften, Partituren, Fotos oder Filme.
00:15:05: Außerdem gibt es ein Programm zum Schutz von Biosphärenreservaten oder die Unesco Global Geoparks.
00:15:12: Das Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes trat 2006 in Kraft.
00:15:19: Darin gibt es gleich drei Listen.
00:15:21: Zum einen die repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit, die Liste des dringend erhaltungsbedürftigen immateriellen Kulturerbes und das Register guter Praxisbeispiele für modellhafte Projekte.
00:15:36: Außerdem führt jedes Land nationale Listen über sein immaterielles Kulturerbe.
00:15:42: Die sind aber kein offizieller Teil des Unesco Kulturerbes.
00:15:45: Und in Deutschland haben Bayern und Nordrhein-Westfalen zusätzlich auch noch eigene Landeslisten eingerichtet, um die Vielfalt ihres kulturellen Lebens aufzuzeigen.
00:16:01: Manuel, du bewegst dich in diesen verschiedenen Ebenen und Strukturen wahrscheinlich im Schlaf.
00:16:06: Aber das ist schon ein bisschen verwirrend für Außenstehende, oder?
00:16:09: Ich denke ja, also wir sehen sehr oft, was nach einem Listen Eintrag passiert auf dieser niedrigsten Ebene, der Landesebene, beispielsweise das bayerische Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes.
00:16:21: Wenn da ein Eintrag erfolgt, dann sehen wir dann oft in der Lokalpresse: Hurra, wir sind Welterbe.
00:16:25: Aber so einfach ist es nicht.
00:16:26: Es ist erstmal aufgenommen in das bayerische Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes.
00:16:31: Von dort kann es dann weitergehen in das Bundesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes.
00:16:35: Und von dort geht es dann auf die weltweiten Listen, also die representative list of the intangible cultural heritage of humanity.
00:16:43: Das ist die oberste Ebene, die man erreichen kann.
00:16:45: Und dort finden wir dann Einträge wie die Falknerei oder das Hebammenwesen.
00:16:50: Das sind oft dann internationale Einträge.
00:16:51: Und das zeigt eben auch diesen verbindenden Gedanken von intangible heritage, von immateriellem Kulturerbe.
00:16:56: Es geht also nicht um das Beste, das Größte, die Konkurrenz auszustechen, auszugrenzen, sondern was haben andere, was es bei uns auch gibt.
00:17:04: Und wollen wir nicht einen gemeinsamen Antrag starten, um so das gemeinsame an dieser besonderen Kulturform in den Vordergrund zu rücken.
00:17:12: Und darum finden wir auf internationaler Ebene oft eben auch diese Konglomeratseinträge, an denen dann unterschiedliche Nationen beteiligt sind.
00:17:19: Sind wir in Deutschland an der Falknerei beteiligt?
00:17:21: Ja
00:17:22: Mit wem?
00:17:23: Beispielsweise der Mongolei.
00:17:24: Ach was?
00:17:25: Ja, genau, also hier wie dort gibt es eben diese Kulturform.
00:17:29: Es ist hier wie dort eine längere Tradition mit einer gewissen identitätsbildenden Kraft für die Praktizierenden.
00:17:36: Und es ist schön, dass es uns hier mit der Mongolei verbindet.
00:17:40: Die Kulturerbestätten sind also immer Weltkulturerbe,
00:17:43: die immateriellen Kulturerbe gibt es auf verschiedenen Ebenen, habe ich jetzt gelernt.
00:17:47: Regionale Liste, Landesliste und Bundesliste.
00:17:50: Wenn sich jetzt eine Region oder eine Trägerstruktur beworben hat und erfolgreich war, was bedeutet das dann für die?
00:17:56: Bekommen die dann ein Geldsegen und total viele Fördermittel?
00:18:00: Ja, die klassische Frage: Kulturerbe und was jetzt?
00:18:03: Es ist leider leider nicht so, dass es mit einem Geldsegen verbunden ist, zumindest nicht direkt.
00:18:10: Also die Unesco, die sponsern hier dann diese Kulturformen nicht.
00:18:13: Aber im Wesentlichen ist es die Wertschätzung, es ist dieser Bedeutungswandel, auch diese Werteverschiebung, die damit einhergeht.
00:18:22: Und da entstehen viele positive Effekte, viele vitalisierende Effekte, die dann vor allem im ländlichen Raum, also vor allem in strukturärmeren, bevölkerungsärmeren Räumen wahnsinnig wichtig sein können.
00:18:32: Da sind wir jetzt mitten in deinem Forschungsprojekt angekommen, also dem Grund, warum ich überhaupt auf dich und auf dieses Thema aufmerksam geworden bin.
00:18:41: Denn zusammen mit einem Kollegen aus Mainz leitest du ein Forschungsprojekt, das vom Bund gefördert wird zum Thema Immaterielles Kulturerbe in ländlichen Räumen.
00:18:50: Also du sitzt nicht nur in diesem Gremium und wählst mit aus, sondern du forschst auch darüber.
00:18:57: Um was geht es denn in diesem Projekt, was wollt ihr da rausfinden?
00:19:01: Ja, wir wollen rausfinden, inwieweit Immaterielles Kulturerbe gerade für periphere ländliche Räume, also ländliche Räume, die bevölkerungsarm sind, die ärmer sind an ökonomischen Strukturen, welche Bedeutung Immaterielles Kulturerbe hier entwickeln kann.
00:19:17: Dieses Projekt, dahinter steht das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, eine Förderlinie, die nennt sich Faktor K.
00:19:24: Und was das Ministerium in dem Kontext interessiert, ist, inwieweit so ein sanfter Standortfaktor wie Kultur oder Kulturarbeit tatsächlich auch vitalisierendes Potenzial hat in eben peripheren ländlichen Räumen.
00:19:37: Und wir untersuchen genau diese Frage eben durch diese Brille des Immateriellen Kulturerbes.
00:19:42: Wir wollen also herausfinden, inwieweit ein Listeneintrag positive Effekte vor Ort zeitigen kann.
00:19:48: Wenn ja, welche und wie stellt man es an?
00:19:51: Welche Bedingungen müssen gegeben sein?
00:19:53: Wenn nein, woran liegt es? Woran hapert es hier?
00:19:56: Hapert es an der Kommunikation? Hapert es an der Beteiligung?
00:19:59: Fehlt hier irgendwo Wissen und Expertise?
00:20:01: Gibt es erhöhten Beratungsbedarf?
00:20:03: Und so wollen wir herausfinden, inwieweit eben über Immaterielles Kulturerbe beispielsweise die Resilienz von so einer ländlichen Region gestärkt werden kann.
00:20:11: Also die Fähigkeit, sich inmitten dieses umfassenden Transformationsprozesses, in dem sich das Land befindet, behaupten zu können oder vielleicht sogar neu aufstellen zu können.
00:20:21: Und darum geht es uns.
00:20:23: Und wie geht ihr da vor?
00:20:24: Ich meine, ihr könnt ja wahrscheinlich nicht alle 150 Immateriellen Kulturerbe in Deutschland anschauen.
00:20:29: Das ist richtig. Wir haben eine Auswahl getroffen.
00:20:31: Wir haben uns sechs Einträge im Bundesverzeichnis vorgenommen, auf unterschiedliche Bundesländer verstreut, weil nämlich die Governance, also die kulturpolitische Verwaltung des Immateriellen Kulturerbes von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich sein kann.
00:20:46: Und das kann ein Faktor sein, der über Erfolg oder Misserfolg letztlich entscheidet und der unterschiedliche Folgen nach sich ziehen kann.
00:20:53: Wir haben in Bayern den Eintrag, die Oberpfälzer Zoiglkultur als Beispiel, in Thüringen den Lauschaer Christbaumschmuck, auch eine strukturarme Region.
00:21:02: Und wir haben in Hessen den hessischen Kratzputz als Handwerkstechnik.
00:21:07: Hessen ist beispielsweise im Bundesland das sehr schwach ausgeprägte Verwaltungs- und Organisationsstrukturen hat im Bereich des Immateriellen Kulturerbes.
00:21:16: Insofern denke ich, dass wir hier völlig andere Ergebnisse kriegen, als wir es aus Bayern kriegen.
00:21:21: Die Mainzer Kollegen, Prof. Ulich und Leonie Schäfer, seine Kollegin, die schauen sich die Wiesenwässerung an.
00:21:28: Queichwiesen, Rheinland-Pfalz, eine ganz interessante Form von landwirtschaftlichem Wissen, die jetzt wieder unheimlich relevant wird und international nachgefragt wird.
00:21:36: Sie schauen sich an den Rheinischen Karneval und in Mecklenburg-Vorpommern noch eine Kulturform.
00:21:43: Wie gesagt, meine Kollegin Rebecca Koller und ich, wir konzentrieren uns auf Bayern, Hessen und Thüringen und die Kollegen in Mainz machen die drei anderen Bundesländer.
00:21:50: Also quer über die Republik verstreut.
00:21:53: Lass uns mal die Zoiglkultur nehmen, weil die uns so schön nahe liegt.
00:21:57: Ist die schon aufgenommen oder ist sie noch im Bewerbungsprozess?
00:22:00: Die ist tatsächlich aufgenommen.
00:22:02: Sie ist aufgenommen ins Bayerische Landesverzeichnis und von dort ging es dann weiter ins Bundesverzeichnis, wo sie tatsächlich auch aufgenommen wurde.
00:22:09: Also die Oberpfälzer Zoiglkultur ist die genaue Bezeichnung.
00:22:13: Und was zeichnet die aus? Was macht die so schützenswert?
00:22:17: Das ist genau so ein Eintrag, über den man auch trefflich spotten könnte.
00:22:22: Also kommt jetzt auch schon das Biertrinken auf die Listen des Immateriellen Kulturerbes.
00:22:26: Aber geht es da ums Biertrinken oder?
00:22:28: Genau das ist der Punkt. Also es ist nicht das Biertrinken ausgezeichnet worden.
00:22:32: Es wird nicht das Bier, das Zoiglbier ausgezeichnet, also nicht das Materielle, sondern was ausgezeichnet wird, ist der ganze kulturelle Kontext außenrum.
00:22:40: Also erstmal das Wissen über die Bierproduktion.
00:22:44: Man muss sich vor Augen warten, das sind Laien, das sind keine professionellen Brauer.
00:22:47: Und die geben im Prinzip seit, ja, was man weiß, mehreren Jahrhunderten dieses Wissen mehr oder minder informell weiter zwischen den Generationen und brauen sich dort ihr eigenes Bier.
00:22:59: Was ausgezeichnet wird sind diese gemeinschaftsstiftenden Praxen, dass es vor Ort eben ein wichtiger Faktor des Zusammenhalts ist, der Vernetzung ist, der Kooperation ist, dass die Leute dann einfach ihre Stuben aufsperren, ihre Gasträume aufsperren und die Nachbarn kommen rüber, die Einheimischen kommen rüber und dann wird das Lokalgeschehen besprochen, dann wird Lokalpolitik gemacht.
00:23:18: Also eine unheimliche verbindende Kraft auch.
00:23:21: Es lebt ganz einfach, es ist nicht inszeniert, es ist keine Show für Touristinnen und Touristen, sondern es trägt vor Ort wirklich ganz maßgeblich zur Kommunikation bei, Stück weit auch zur Frage, wer sind wir, was wollen wir, wie wollen wir in die Zukunft gehen? Was uns ja immer wichtig ist und all das ist das, was ausgezeichnet wurde.
00:23:41: Und nach was schaut ihr denn da jetzt während eures Forschungsprojekts?
00:23:44: Wir schauen vor allem darauf, wie sich die Situation nach diesem erfolgten Listeneintrag verändert und gestaltet vor Ort.
00:23:53: Es zeichnet sich ab, dass die Kulturformen, die vorher schon ziemlich erfolgreich waren, also die fest verankert sind, für die ist dieser Listeneintrag vor allem so ein Bonus.
00:24:04: Da geht es vor allem um Wertschätzung, da sind die Effekte vor allem im ökonomischen Bereich, in der Vernetzung letztlich womöglich überschaubar.
00:24:13: Interessant sind für uns die Kulturformen, die tatsächlich noch andere Gründe gehabt haben, sich zu bewerben, also beispielsweise auch ökonomische Gründe und Gründe, die der Strukturschwäche vor Ort entgegenwirken sollen.
00:24:25: Und da ist für uns interessant, gibt es so eine Art Netzwerkeffekt beispielsweise.
00:24:31: Also hat dieser Bewerbungsprozess dazu beigetragen, dass vor Ort Netzwerke entstehen, dass neue Kooperationen entstehen?
00:24:38: Bei regionaler Entwicklung ist ein Schlüsselbegriff das endogene Potenzial.
00:24:42: Das endogene Potenzial, das meint die Potenziale, die vor Ort gewissermaßen schon schlummern, die sollen geweckt werden.
00:24:49: Und da interessiert uns, kann so ein Listeneintrag womöglich so ein Schlüssel sein oder so ein Aufwecksignal sein, um dieses endogene Potenzial, das vor Ort in vielen ländlichen Regionen vorhanden ist, so ein Stück weit zu wecken, rauszukitzeln, sichtbar zu machen,
00:25:11: in neue Vernetzungen zu gießen, sektorübergreifend nutzbar zu machen, von der Wirtschaft bis eben zur Kulturarbeit bis hin zum Tourismus, ist das Immaterielles Kulturerbe da vielleicht so ein Faktor, der hier vitalisierend wirken kann, um diese endogenen Potenziale sektorübergreifend auszuschütten.
00:25:22: Also das heißt, ihr schaut, ob diese Auszeichnung sozusagen nachhaltig ist in irgendeiner Form oder ob dieser Effekt, ob man eine große Feier macht und es dann verpufft?
00:25:31: Ja, genau, einfach ausgedrückt können wir es genau so sagen.
00:25:34: Also Kulturerbe.Und was jetzt? Also was passiert jetzt?
00:25:38: Kümmert sich jetzt auch weiter noch wer drum?
00:25:40: Also macht man sich bewusst, wir haben jetzt auch eine gewisse Verantwortung?
00:25:44: Wir müssen schauen, dass sich das in die Zukunft entwickelt.
00:25:47: Und da müssen wir auch schauen, dass sich das in möglichen einzelnen Teilen auch verändert, dass es relevant bleibt, dass es zukunftsfähig bleibt.
00:25:53: Oder sehen wir, in den meisten Fällen ist es tatsächlich so ein Antrag, der heute gestellt wurde, der ist nice to have.
00:25:59: Und der Effekt beschränkt sich auf Null.
00:26:02: Im Idealfall, wie gesagt, entstehen Netzwerke, es entstehen Kooperationen, es entsteht eine sektorübergreifende Zusammenarbeit, die vom Tourismus eben bis in die Wirtschaft reichen kann.
00:26:11: Das sind Effekte, die wichtig sind.
00:26:13: Und vor allem wollen wir auch sehen, ob die Bevölkerung, die Trägergruppen sich auch weiterhin damit identifizieren oder ob es tatsächlich nur so eine kultur-touristische Maßnahme war.
00:26:23: Ein tolles Beispiel, das wäre hier die Kirwakultur in Amberg-Sulzbach.
00:26:28: Die hatten eine Bewerbung, die dann auf das Verzeichnis der guten Praxisbeispiele gekommen ist.
00:26:35: Und was die gemacht haben, die haben vom Beginn der Bewerbung an im Prinzip alles auf die Beine gestellt, alles aktiviert, auf das sie Zugriff hatten.
00:26:44: Das heißt, sie haben Kooperationen mit Schulen ins Leben gerufen.
00:26:47: Sie sind auf die Uni zugekommen, sind also auf uns zugekommen.
00:26:50: Sie sind auf den Bayerischen Museumsverband zugegangen.
00:26:52: Sie sind auf die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen zugegangen.
00:26:55: Also sie haben vom ersten Tag des Bewerbungsverfahrens an ein irrsinniges Netzwerk geknüpft.
00:27:01: Und sie haben ein Wissen generiert zu dieser Kulturform, Kirwa im Amberg-Sulzbacher-Land, das beispiellos ist.
00:27:07: Das Thema eine irrsinnige Energie entwickelt.
00:27:09: Über die Zeitungen ist die ganze Bevölkerung aktiviert worden, für Umfragen beispielsweise.
00:27:14: Die Bevölkerung hat dann wieder Wissen eingespeist in dieses Bewerbungsverfahren aus der eigenen Praxis.
00:27:19: Und das ist für mich der Idealfall, dass wirklich so ein gemeinschaftlicher, erstens Vernetzungsprozess einsetzt, der die Ressourcen vor Ort auch letztlich anzapft.
00:27:28: Alles, was hier schlummert an endogenen Potentialen, also vor allem auch Wissen, Können.
00:27:33: Und das haben die Amberg-Sulzbacher extrem gut gemacht.
00:27:35: Und ich glaube, dass es da nicht mit der Ernennung, also mit dem Listeneintrag enden wird. sondern die haben das so hervorragend, so engagiert angeleiert, dass die das auch in Zukunft im Blick haben werden und den Titel auch noch weiterentwickeln werden, damit auch die Kulturform relevant halten und lebendig halten und offen halten für alle.
00:27:53: Also das heißt, ihr werdet jetzt die nächsten Jahre über schauen bei diesen ausgewählten Kulturpraxen, was läuft gut, warum läuft es gut, oder wo hakt es vielleicht auch und was könnte man dagegen tun.
00:28:03: Ist das richtig?
00:28:04: Ja, genau. Und das wollen wir dann zurück spielen ins Ministerium.
00:28:07: Das wollen wir allerdings.
00:28:07: Das ist ein ganz wichtiger Punkt in diesem Projekt, dass wir eben auch so in Form von der Citizen Science diese Erkenntnisse direkt zurückspielen in die Bevölkerung, dass wir in Form von Erzählcafes und Workshops dann die Ergebnisse weitergeben an die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, aber auch an die Trägergruppen selbst.
00:28:22: Und wir wollen es natürlich auch dann in die wissenschaftliche Fachcommunity zurück spielen, in Form von Papers, in Form von Tagungsbeiträgen, Konferenzen und letztlich auch in die Expertengremien, also auf bundesweiter Ebene und auf Landesebene.
00:28:35: Das sind gewissermaßen unsere externen Begleiter, die das letztlich auch interessiert.
00:28:40: Also definitiv auch eine praktische Anwendung von eurer Forschung dann wiederum, wenn die Leute da ihr Nutzen daraus ziehen können.
00:28:46: Genau, natürlich.
00:28:47: Also vor allem im Ministerium geht es ja nicht um ein wissenschaftliches Elfenbeinprojekt, sondern vor allem das Ministerium will ja auch politische Handlungsempfehlungen.
00:28:56: Und die werden wir ganz klar auch formulieren können.
00:29:01: Ich habe mir bei der Vorbereitung überlegt, es geht zwar um living heritage, also um das, was in der Bevölkerung gelebt wird, aber irgendwie kann man doch auch ein bisschen auf die Idee kommen, zu sagen: Es ist ja schön, wenn die Leute so stolz sind auf ihre Bräuche und die auch weiterleben.
00:29:16: Aber es sind ja doch oft auch ziemlich lokale Sachen.
00:29:19: Und irgendwie wirkt es dann auch so ein kleines bisschen so, als würde man damit vor allem so einen gewissen alten Patriotismus bedienen.
00:29:25: So ein extremes Mia san mia, wie man hier sagen würde.
00:29:28: Und wir haben das halt schon immer so gemacht. Und deswegen ist es toll.
00:29:31: Auch die Unesco-Weltkulturerbestätten sind nicht frei von Kritik.
00:29:35: Dazu nochmal meine Kollegin Margit Scheidt.
00:29:41: Die Auszeichnung zum Unesco-Welterbe bedeutet touristische Aufmerksamkeit und entsprechende Einnahmen.
00:29:47: Aber die Liste der Welterbestätten war in den ersten Jahrzehnten sehr stark eurozentristisch geprägt.
00:29:55: In Europa wurden Regeln aufgestellt, was und wie ein Kulturerbe zu sein hatte.
00:30:00: Und diese Regeln trafen auf europäische Bewerbungen dann natürlich sehr viel besser zu, als auf internationale Einreichungen.
00:30:07: Dazu kam: Europa und Nordamerika hatten im Gegensatz zu anderen Weltregionen die Mittel und das Know-how für viele erfolgreiche Bewerbungen.
00:30:17: Entsprechend stieg vor allem die Zahl der Welterbestätten in Europa immer weiter an.
00:30:23: In den 1990er Jahren versuchte die UNESCO gegenzusteuern.
00:30:27: Das Konzept wurde reformiert. Der Begriff Welterbe wurde weitergefasst, Kulturlandschaften einbezogen, gelebte Traditionen bekamen mehr Gewicht.
00:30:37: Die Aufnahme von immateriellem Kulturerbe ist ein Beispiel dafür.
00:30:42: Für Christoph Brumann vom Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle ein wesentlicher Schritt.
00:30:49: Er sagt, die UNESCO hat sich dem ethnologischen Verständnis von Kultur angenähert, also weg vom Meisterwerk und von Artefakten der Eliten hin zum Alltagsleben und seinen Spuren.
00:31:02: Trotzdem bleiben die Welterbestätten weiter ungleich verteilt.
00:31:06: Ein Grund dafür: Der Status als Welterbe bringt zunächst einmal kein Geld ein.
00:31:11: Ein Staat verpflichtet sich mit der Auszeichnung aber zum Erhalt der Stätte und muss für die Kosten selbst aufkommen.
00:31:18: Für ärmere Länder oft ein Problem.
00:31:21: Ein weiterer Kritikpunkt am Modell sind überholte koloniale Strukturen und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung vor Ort.
00:31:29: Ein Beispiel: Die berühmten Tempelanlagen von Angkor in Kambodscha.
00:31:34: Die Bevölkerung sammelt dort seit jeher Feuerholz und Waldfrüchte, züchtet in der Anlage Fische und lässt Vieh dort weiden.
00:31:42: Auch religiös ist es für die Einheimischen ein lebendiger Ort.
00:31:46: Die Menschen möchten dort beten und neue Tempel bauen.
00:31:49: All das verbieten die kambodschanischen Denkmalschutzbehörden jetzt, weil sie die Regeln der Unesco sehr streng auslegen.
00:31:57: Der Welterbestatus führt gerade im globalen Süden also oft dazu, dass sich Menschen eingeschränkt und bevormundet fühlen.
00:32:05: Dass sie von ihren Welterbestätten entfremdet oder sogar ausgesperrt werden, um stattdessen stetig wachsenden Touristenmassen Platz zu machen.
00:32:14: Aber auch innerhalb Europas gibt es Konflikte, denn die Vorgaben der UNESCO kommen oft moderner Städteplanung in die Quere.
00:32:22: Der Bau der Waldschlösschenbrücke hat Dresden zum Beispiel seinen Welterbetitel für die Elbauen gekostet.
00:32:29: Die Aberkennung führte international zu Diskussionen.
00:32:33: Einen Kompromiss zwischen dem Bewahren und den Bedürfnissen der Menschen vor Ort zu finden, scheint mit der UNESCO oft schwierig.
00:32:45: Den gewachsenen Eurozentrismus auf der globalen Ebene der Welterbestätten werden wir hier nicht lösen.
00:32:51: Lass uns zurückkommen ins Lokale.
00:32:54: Manuel, ist die Kritik, die ich vorher aufgebracht habe, gerechtfertigt?
00:32:56: Befördern die Immateriellen Kulturerbe hier bei uns was Altmodisches, vielleicht was Deutsch-Tümelndes irgendwie?
00:33:03: Die Kritik steht letztlich schon seit 2013 oder früher im Raum, als es mit dem Immateriellen Kulturerbe in Deutschland losging.
00:33:11: Also die Befürchtung, dass damit gewissermaßen so neuer Folklorismus einzieht, der wieder das Heimat-Tümeln in den Vordergrund stellt. Kann ich nicht zu 100 Prozent unterschreiben.
00:33:23: Wir sehen zwar vor allem auf lokal-, kommunal-, Regionalebene immer wieder Versuche, beispielsweise von Bürgermeistern, Landräten und anderen politischen Akteuren, so die eigenen Besonderheiten in Form von Anträgen in den Vordergrund zu stellen, um eben so das lokale Selbstbewusstsein, dieses Mia san Mia, wie du es genannt hast, eben zu stärken.
00:33:42: Aber wir haben ja schon ein waches Auge drauf, dass es eben nicht exklusiv und ausgrenzend wird.
00:33:47: Also uns ist wichtig, dass es eben nicht repräsentativ nur für eine Gemeinde beispielsweise ist, die versucht jetzt sich gegen ihre Nachbargemeinden durchzusetzen.
00:33:56: Es soll nicht darum gehen, dass man die anderen aussticht mit einer möglichst alten Kulturform, sondern wir wollen, dass die sich zusammensetzen und dann gemeinsam einen Antrag formulieren, der dann repräsentativ ist für viel mehr Menschen, als es so ein einzelner Vorstoß sein könnte, das zum einen.
00:34:14: Zum zweiten, das regionale Mia san mia, das würde ich auch nicht so scharf formulieren.
00:34:18: Es macht letztlich auch die Diversität und das Heterogene, das Pluralistische in Bayern und in Deutschland sichtbar.
00:34:26: Also so eine Liste mit inzwischen 144 Einträgen oder ein Bayerisches Verzeichnis mit sehr vielen Einträgen.
00:34:32: Das Tolle daran ist, dass ja auch diese Vielfalt der gelebten Kulturen, was alles Relevant ist für die Bevölkerung in Bayern, dass das sichtbar wird.
00:34:40: Auf der anderen Seite muss ich natürlich, da schließe ich mich deiner Kritik durchaus an.
00:34:45: Wir haben sicherlich irgendwo im Moment noch so einen Schwerpunkt auf traditionellen, regional gewachsenen Kulturformen.
00:34:53: Vom Further Drachenstich, Michaelis Kirchweih und so weiter.
00:34:57: Das ist super so, weil das wichtige Formen sind, die für die Bevölkerung vor Ort wahnsinnig wichtig sind.
00:35:01: Aus den verschiedenen Gründen, über die wir gesprochen haben.
00:35:04: Aber was aus meiner Sicht noch ein Stück weit fehlt, ist diese neue Diversität letztlich auch, die Bayern und Deutschland heute als Einwanderungsländer auszeichnet, sichtbar zu machen.
00:35:16: Also ich würde mir beispielsweise wesentlich mehr Einträge wünschen, in denen auch migrantische Milieus, migrantische Kulturen sichtbar werden.
00:35:25: Ich würde mir vielleicht auch Einträge zur jüdischen Kultur wünschen.
00:35:28: Also so eine gewisse Modernisierung und noch eine weitere Diversifizierung, um diese Listen auch repräsentativ für unser diverses, heterogenes, modernes Deutschland und Bayern zu halten.
00:35:42: Das ist sicherlich eine Entwicklung, die wir in den Blick nehmen sollten und die wir auf Bundesebene tatsächlich auch schon in den Blick nehmen.
00:35:49: Man muss auch sagen, dass Deutschland da allerdings wesentlich progressiver ist bereits als andere Länder, also vor allem, wenn man in Richtung Osteuropa denkt, da ist diese nationale Identitätsstiftende Komponente noch wesentlich stärker.
00:36:01: Die Deutschen haben auf weltweiter Ebene eher so den Ruf, dass wir immer die ungewöhnlichen Einträge, die auch mutigen Einträge bringen und das zeigt, dass es zumindest in die richtige Richtung geht, weil Kulturerbe letztlich auch ein Zukunftsthema ist, dass man entsprechend progressiv und offen denken muss.
00:36:18: Das ist ja schön, wenn wir mal ein bisschen mutig und ausgefallen sind.
00:36:22: Ist es trotzdem ein schwieriger Prozess, gerade auf dem Land?
00:36:24: Ihr forscht ja eben in eurem Forschungsprojekt auch gezielt zur ländlichen Struktur.
00:36:29: Ja, es ist vor allem ein heikler Prozess, weil aus wissenschaftlicher Sicht haben wir eine andere Perspektive auf Immaterielles Kulturerbe und auf Kulturerbe generell, wie die Trägergruppen vor Ort.
00:36:39: Also wir sind oft aus wissenschaftlicher Sicht eher so die Spielverderber, die hingehen und sagen: Moment mal, so alt ist das ja gar nicht.
00:36:46: Und es sind eigentlich andere Sachen wichtig.
00:36:48: Und wer war denn da eigentlich beteiligt?
00:36:50: Und warum sind die Gruppen nicht beteiligt?
00:36:51: Wir haben eher so diesen dekonstruktiven analytischen Blick.
00:36:54: Und vor Ort ist es: Ja, das war schon immer so da.
00:36:56: Wir haben das schon immer so gemacht.
00:36:57: Das ist unsere Tradition und darum ist es wertvoll.
00:37:00: Das sind die unterschiedlichen Verständnisse.
00:37:02: Und das ist in der Feldforschung oft so ein Kommunikationsproblem, dass uns andere Sachen interessieren als die Trägergruppen vor Ort.
00:37:09: Und da muss man auch sensibel vorgehen, auch was das Wording, die Fragestellungen betrifft, wie man in die Interviews reingeht.
00:37:16: Wenn wir zu dekonstruktiv vorgehen, dann kann es vor Ort für Irritationen sorgen, weil die Trägergruppen über Jahrzehnte oder über Generationen die Vorstellung hatten, unser Brauch geht zurück auf das Mittelalter.
00:37:28: Und plötzlich kommt da so ein Kulturwissenschaftler und tritt als Spielverderber auf und sagt: Ne, so ist es ja gar nicht.
00:37:35: Das nagt dann auch am Selbstbewusstsein.
00:37:37: Und das gleicht vielen dann so einer Art Infragestellung des Wertvollen, Entwertung womöglich auch.
00:37:45: Und da muss man ganz, ganz vorsichtig vorgehen, weil das wollen wir nicht.
00:37:48: Wir wollen die Bedeutung vor Ort.
00:37:49: Warum hat es für die Leute eine Bedeutung?
00:37:51: Wie kommt es zu dieser Bedeutung?
00:37:52: Das wollen wir verstehen.
00:37:54: Dazu müssen wir dekonstruieren, um eben all diese Stakeholder, all diese Netzwerke hinter diesen Kulturerbestrukturen zu analysieren.
00:38:01: Aber in der Kommunikation ist es immer so ein Eiertanz.
00:38:03: Da ist es immer: Wie weit kann ich mit meinen Fragen gehen, ohne jetzt das Selbstbewusstsein der Trägergruppen zu unterminieren und hier für Irritationen zu sorgen.
00:38:15: Das ist ganz spannend aber letztlich auch.
00:38:17: Diese Perspektive aus der Praxis immer zurück gespiegelt zu kriegen und dann hinterfragen zu müssen, wo ist jetzt die Hidden Agenda, wie alt ist es tatsächlich, wer war tatsächlich daran beteiligt.
00:38:29: Wenn wir über diese Anträge debattieren, dann sind wir uns bewusst, aus kulturwissenschaftlicher und wissenschaftlicher Perspektive, dass diese Anträge immer auch ein narrativ sind.
00:38:39: Es ist immer auch ein Storytelling, das uns die Trägergruppe da vorsetzt.
00:38:43: Also: Unser Brauch ist der älteste und aus den und den Gründen ist er schützenswert.
00:38:48: Wir wissen, dahinter steht oft noch ein anderer Grund, warum sie sich beworben haben, also beispielsweise touristische Wertschätzung und Sichtbarkeit.
00:38:56: Und wir wissen natürlich auch, dass wir diese Entwicklungsprozesse genau anschauen müssen.
00:39:02: Ist es denn wirklich so, dass es bis ins Mittelalter zurückgeht oder hat dieses Fest seine Wurzel nicht eher um 1900, was oft der Fall ist und so weiter.
00:39:10: Und das dann zurückzuspiegeln in die Community, ohne ihnen zu sehr auf die Füße zu treten, sie zu irritieren und ihnen begreiflich zu machen, dass diese Kulturform trotzdem wertvoll ist und trotzdem antragsfähig ist.
00:39:23: Das ist eben die Kunst und das sind zwei unterschiedliche Sprachen letztlich, auch die hier oft bedient werden müssen.
00:39:30: Super spannend. Also du verbindest die Oberpfälzer Region hier mit der Forschung an der Uni Regensburg.
00:39:37: Manuel, ganz herzlichen Dank, dass du uns ein bisschen dieses Knäul der Weltkulturerbe und Immateriellen Kulturerbe entwirrt hast.
00:39:46: Ich fasse mal zusammen, was ich über das Immaterielle Kulturerbe mitnehme.
00:39:50: Immaterielle Kulturerbe sind keine Weltkulturerbe.
00:39:54: Eine alte Tradition allein reicht nicht aus, um schützenswert zu sein.
00:39:57: Die Tradition muss gelebt werden.
00:40:00: Es geht nicht darum, dieses Erbe im übertragenen Sinn auf einen Sockel zu stellen oder irgendwie gerahmt an die Wand zu hängen, sondern dass man es dazu nutzt, Kommunikation, Vernetzung und manchmal auch frischen Wind in der Region zu bringen.
00:40:12: Und Zoiglbier ist nicht nur zum Trinken fein.
00:40:16: Manuel, ganz herzlichen Dank, dass du heute hier mein Gast im Studio warst.
00:40:20: Ja sehr gerne, hat Spaß gemacht!
00:40:22: Das freut mich.
00:40:22: Ich habe mich wahnsinnig gefreut, dass du da warst und ich hoffe, für euch zu Hause vor den Lautsprechern oder unter euren Kopfhörern war es auch interessant und unterhaltsam.
00:40:31: Gebt uns doch gerne Feedback zum Gasthörer unter kontakt@ur.de.
00:40:36: Abonniert den Gasthörer, wenn ihr das noch nicht gemacht habt und empfehlt uns vor allem auch gerne weiter.
00:40:41: Ich bin Katharina Herkommer und ich freue mich auf euch beim nächsten Mal.
00:40:44: Tschüss, liebe Gasthörerinnen und Gasthörer.
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