Alles Schnee von gestern? ERINNERUNGSKULTUR mit Prof. Dr. Jörg Skriebeleit
Shownotes
„Weißt Du noch…“ – die peinliche Rede des Trauzeugen auf der Hochzeit von Onkel X und Tante Y, der spektakuläre 18. Geburtstag der besten Freundin, die gemeinsame Reise in die Partnerstadt mit dem ganzen Orchester oder die sagenhafte letzte Ausfahrt mit dem Skiclub: Gemeinsame Erinnerungen sind die Basis jeder Gemeinschaft – ob in der Familie, im Freundeskreis oder im Verein.
Aber welche Bedeutung hat das kollektive Gedächtnis für unsere Gesellschaft? Wie können wir es schaffen, wichtige Erlebnisse und Ereignisse zum Beispiel aus der Geschichte oder Politik wach und lebendig zu halten? Und sie vor allem auch den nächsten Generationen zugänglich machen? Muss sich die Art, wie wir an etwas erinnern, im Lauf der Zeit verändern? Zum Beispiel durch neue Medien? Und wie sieht das ideale Museum oder der ideale Gedenkort aus?
All das sind Fragen, denen wir in dieser Folge des Gasthörer nachgehen. Zu Gast im Studio ist dafür Prof. Dr. Jörg Skriebeleit, Honorarprofessor am Lehrstuhl für Vergleichende Kulturwissenschaft, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und einer der Direktoren des Zentrum Erinnerungskultur bei uns an der Uni Regensburg.
Außerdem sprechen wir mit der Studentin Marie Ederer darüber, warum sie sich als junger Mensch im Zentrum Erinnerungskultur und in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg engagiert.
Die sehenswerte Ausstellung Ende der Zeitzeugenschaft? die im Podcast mehrmals erwähnt wird, kann man im Foyer der Universitätsbibliothek noch bis 24.8. kostenlos besuchen.
Der Podcast Gasthörer ist eine Produktion des Bereichs Kommunikation & Marketing der UR.
Habt Ihr Feedback, Anregungen oder Fragen zu dieser Folge oder zum Gasthörer allgemein? Schreibt uns gerne an kontakt@ur.de
Mehr spannende Nachrichten zu aktuellen Forschungsprojekten an der Uni Regensburg findet Ihr auf der Forschungswebsite der Uni Regensburg.
Transkript anzeigen
Katharina Herkommer: Es gibt Ereignisse, da wissen wir alle noch ganz genau, womit wir an dem Tag beschäftigt waren, als sie passiert sind.
Katharina Herkommer: Oder in welcher Situation wir von der Nachricht erfahren haben.
Katharina Herkommer: Für viele von uns sind die Terroranschläge vom 11. September so ein Fall, als Attentäter mehrere gekidnappte Flugzeuge ins World Trade Center in New York und in andere Anschlagsziele in den USA gesteuert haben.
Katharina Herkommer: Ich sag' für viele von uns – vor ein paar Jahren hab ich in Unterhaltungen noch gesagt: Jeder erinnert sich an diesen Tag, weil die Anschläge so schockierend waren, eine ganz neue Form von Gewalt.
Katharina Herkommer: Aber das Ganze war im Jahr 2001, und einige von euch, liebe Hörerinnen und Hörer, waren da noch nicht mal geboren.
Katharina Herkommer: Mir wird das tatsächlich gerade erst bewusst:
Katharina Herkommer: Bis vor kurzem war dieses Attentat etwas, was wirklich alle in irgendeiner Form persönlich erlebt haben.
Katharina Herkommer: Zum Teil haben wir es sogar mit den schrecklichsten Bildern live im Fernsehen verfolgt.
Katharina Herkommer: Und auch wenn ich jetzt wie eine Oma kling: Plötzlich ist das Jahr 2001 so lange her, dass es eine neue Generation gibt,
Katharina Herkommer: und alle unter 25 haben definitiv keine persönlichen Erinnerungen an diesen Tag –
Katharina Herkommer: genau wie an die direkten Folgen von Kriegen und Terror, also die politischen Ereignisse, die sich weltweit daraus entsponnen haben.
Katharina Herkommer: Bis vor ein paar Jahren konnte ich davon ausgehen, dass jeder genau weiß, wovon ich spreche, wenn ich 11. September sage.
Katharina Herkommer: Aber kann ich das jetzt immer noch?
Katharina Herkommer: Was habt ihr jungen Leute in der Schule darüber gelernt?
Katharina Herkommer: Hat euch das überhaupt interessiert oder war es nur eine weitere langweilige Geschichtsstunde für euch, voll von Dingen, die ganz weit weg sind?
Katharina Herkommer: Wie können wir es schaffen, wichtige Erlebnisse und Ereignisse in unserer gemeinsamen Erinnerung wach und lebendig zu halten und sie vor allem auch den nächsten Generationen zugänglich machen?
Katharina Herkommer: Darum geht es in dieser Folge des Gasthörer.
Titel: Gasthörer.
Katharina Herkommer: Schön, dass ihr wieder dabei seid beim Gasthörer, dem Wissenschaftspodcast der Uni Regensburg.
Katharina Herkommer: Ich bin Katharina Herkommer und mein Gast für diese Folge ist der Kulturwissenschaftler Professor Dr. Jörg Skriebeleit.
Katharina Herkommer: Schön, dass du da bist, Jörg.
Jörg Skriebeleit: Vielen Dank für die Einladung.
Jörg Skriebeleit: Ich freue mich sehr und bin gespannt auf die nächste Stunde.
Katharina Herkommer: Heute wird es ganz viel um Dinge gehen, die für uns alle als Gesellschaft wichtig sind, also um kollektives Erinnern.
Katharina Herkommer: Trotzdem fange ich mal anders an:
Katharina Herkommer: Kannst du dich persönlich gut erinnern?
Katharina Herkommer: Weißt du zum Beispiel noch Sachen aus deiner Kindheit oder bist du gut im Memory?
Jörg Skriebeleit: Im Memory bin ich ganz schlecht.
Jörg Skriebeleit: Da sind, glaube ich, die ganz Kleinen immer die Besten.
Jörg Skriebeleit: Das ist eine Beobachtung.
Jörg Skriebeleit: Aber ja, ich weiß genau, wo ich am 11. September 2001 war, nämlich in meiner Physiotherapie im Fitnessstudio, weil ich da gerade meinen Kreuzbandriss frisch hatte.
Jörg Skriebeleit: Und ich war total erstaunt, dass alle auf diese Bildschirme, die da hängen, schauen.
Jörg Skriebeleit: Alle gleichzeitig und auf diesen Bildschirmen überall das Gleiche lief.
Jörg Skriebeleit: Und ich dachte, irgendwie funktioniert die Technik nicht.
Jörg Skriebeleit: Das war das Erlebnis.
Jörg Skriebeleit: Und das war der 11. September.
Jörg Skriebeleit: Man erinnert sich an schöne Kindheitserlebnisse, an schreckliche Erfahrungen, an das, was wehtut, vielleicht an Sachen, die man nicht mehr so unbedingt erleben wollte.
Jörg Skriebeleit: Das ist die individuelle Erinnerung.
Jörg Skriebeleit: Wenn wir vom kollektiven Gedächtnis sprechen, dann braucht es da immer mehr Menschen dazu.
Jörg Skriebeleit: Das sind historische Ereignisse, emotionale Gefühlslagen, an die sich mehr Menschen erinnern, weil sie darüber sprechen.
Jörg Skriebeleit: Das ist ganz unwissenschaftlich das, was kollektives Gedächtnis ausmacht.
Katharina Herkommer: Also es ist ein großer Unterschied zwischen 'sich was merken' und 'sich an etwas erinnern'?
Jörg Skriebeleit: Absolut.
Katharina Herkommer: Wir reden gleich ganz viel weiter übers Erinnern, aber bevor wir das tun, möchte ich dich wie immer ganz kurz vorstellen für unsere Hörerinnen und Hörer.
Katharina Herkommer: Du stammst aus der nördlichen Oberpfalz, hast in Tübingen und in Berlin studiert, und zwar Kulturwissenschaften und europäische Ethnologie.
Katharina Herkommer: Promoviert hast du am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin und seit 1999 bist du der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.
Katharina Herkommer: Deren komplette Neukonzeption hast du in den letzten Jahren verantwortet. Und seit 2019 bist du auch hier bei uns an der Uni Regensburg, und zwar im Rahmen einer Honorarprofessur für vergleichende Kulturwissenschaften und als Gründungsdirektor des Zentrums Erinnerungskultur.
Katharina Herkommer: Was das genau ist, darauf kommen wir natürlich auch gleich noch.
Katharina Herkommer: Außerdem arbeitest du als wissenschaftlicher Leiter und Berater von ganz unterschiedlichen Museums- und Erinnerungsprojekten.
Katharina Herkommer: Passt das alles?
Katharina Herkommer: Hab ich die wichtigsten Stationen...?
Jörg Skriebeleit: Wunderbar.
Katharina Herkommer: Ja? Super. Jörg, ich habe gesagt, du bist der Leiter des Zentrums Erinnerungskultur hier an der Uni.
Katharina Herkommer: Was ist denn das für eine Einrichtung?
Jörg Skriebeleit: Ich mache mal eine Schleife noch zurück zu dieser sehr schönen Vorstellung.
Jörg Skriebeleit: Ich würde nämlich sagen, ich bin ausgebildeter Kulturwissenschaftler und als ausgebildeter Kulturwissenschaftler erinnerungskultureller Theoretiker.
Jörg Skriebeleit: Als langjähriger Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und einer, der in ganz vielen Geschichts- und Memorialprojekten
Jörg Skriebeleit: praktisch und beratend tätig ist, bin ich vielmehr zum Erinnerungskulturellen Praktiker geworden.
Jörg Skriebeleit: Und jetzt wieder die Rückbindung an die Uni:
Jörg Skriebeleit: Das war eine sehr schöne Option, ein sehr schöner Weg, hier bei uns ein Zentrum Erinnerungskultur neu zu konzipieren, aufzubauen, zusammen mit... – ich bin einer von zwei Gründungsdirektoren, der andere ist Bernhard Löffler, kommt hier aus der Landesgeschichte... – und so ist das entstanden aus der Public History, aus diesem Masterstudiengang.
Jörg Skriebeleit: Zentrum hört sich groß an, Erinnerungskultur ist ein ganz schwieriger Begriff, kommen vielleicht auch noch dazu.
Jörg Skriebeleit: Wir sind etwas, was aus nur ganz wenigen Räumen besteht, aber aus ganz viel Kreativität.
Jörg Skriebeleit: Es ist in der Form was sehr Singuläres, also nicht nur in der Universitätslandschaft in Deutschland, sondern auch in der deutschen Gedenkstätten- und Museumslandschaft.
Jörg Skriebeleit: Also eine fixierte Kooperation zwischen einer Einrichtung, die an einem geschichtlichen Ort ist, in dem Fall einem ehemaligen Konzentrationslager, dort arbeitet, und einer Universität, die eigentlich reflektiert, wissenschaftlich analysiert.
Jörg Skriebeleit: Und das Zentrum Erinnerungskultur, um es auf zwei knackige Sätze zu bringen, ist eigentlich eine Plattform – eine interdisziplinäre Plattform, die nicht nur forscht, sondern die reflektiert macht, Dinge ausprobiert.
Jörg Skriebeleit: Und das nicht nur zum Thema Nationalsozialismus, sondern es geht vom Spätmittelalter bis hin zu sehr aktuellen Dingen, wie Überbleibsel von Uranabbau oder dem Grünen Band, dem ehemaligen Eisernen Vorhang.
Katharina Herkommer: Das sind ganz viele verschiedene Aspekte, die du jetzt da gerade schon angesprochen hast.
Katharina Herkommer: Die Zusammenarbeit zwischen der Uni und der KZ-Gedenkstätte in Flossenbürg ist ein zentrales Thema, aber wie du gerade gesagt hast nicht das einzige.
Katharina Herkommer: Lass uns trotzdem mal kurz damit anfangen.
Katharina Herkommer: Also wie muss ich mir das vorstellen?
Katharina Herkommer: Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
Katharina Herkommer: Also was macht ihr da für Projekte gemeinsam?
Jörg Skriebeleit: Also diese Zusammenarbeit hat ja einen langen Vorlauf.
Jörg Skriebeleit: Über viele, viele Jahre... Also in den letzten zehn Jahren sind ganz unterschiedliche Seminare, Projektgruppen, Einheiten der Universität Regensburg immer wieder nach Flossenbürg gekommen.
Jörg Skriebeleit: Gar nicht als erstes die Geschichte, was man vielleicht vermuten würde, oder die Geschichtsdidaktik. Sondern die Romanistik:
Jörg Skriebeleit: Isabella von Trescow ganz stark mit Lektüre und Literaturkursen zur Überlebenden-Literatur.
Jörg Skriebeleit: Es ist die Amerikanistik ganz, ganz stark.
Jörg Skriebeleit: Es entsteht gerade auch eine Doktorarbeit in der Amerikanistik – die Tamara Heger – zur Bedeutung von Flossenbürg in amerikanischen Erinnerungen.
Jörg Skriebeleit: Der Präsident Udo Hebel, auch selber Amerikanist, war sehr früh da.
Jörg Skriebeleit: Und vor diesem Hintergrund ist die Idee entstanden erstens einer fixen Kooperation zwischen einer Universität, also der Universität Regensburg, und einem der zentralen Geschichtsorte in ihrem Einzugsbereich.
Jörg Skriebeleit: Das ist nun mal die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.
Jörg Skriebeleit: Ein Terrorort, ein Tatort, eine, inzwischen sage ich – klingt jetzt vielleicht ein bisschen komisch nach Selbstlob – aber schon eine der großen und innovativen Einrichtungen bezüglich Geschichtsvermittlung am historischen Ort.
Jörg Skriebeleit: Wir versuchen immer wieder neue Dinge.
Jörg Skriebeleit: Und aus diesen vielfältigen, interdisziplinären Kooperationen ist erst ein Kooperationsvertrag, ein Letter of Intent entstanden, gerade vor dem Hintergrund, dass sich die Universität ja auch wandelt:
Jörg Skriebeleit: Third Mission, gesellschaftliche Relevanz, gesellschaftliche Bedeutung, nicht nur die akademische Blase, sondern Orte von angewandter Geschichte.
Jörg Skriebeleit: Und aus dieser Kooperation wiederum heraus ist dann die Idee zu einer nochmal ganz neuen Struktur entstanden, eben ein Zentrum.
Jörg Skriebeleit: Ein Zentrum, das sich auch qua Satzung aus zwei Säulen speist:
Jörg Skriebeleit: Die eine Säule ist die Universität Regensburg und die andere Säule ist die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.
Jörg Skriebeleit: Sowas gibt es deutschlandweit nicht.
Jörg Skriebeleit: Da ist die Universität Regensburg und auch die Gedenkstätte Flossenbürg Vorreiter, Vorreiterin, Piloten.
Jörg Skriebeleit: Wir versuchen, Sachen auszutesten und zu probieren.
Katharina Herkommer: Also das heißt, ihr stoßt selber Kooperationsprojekte an und seid auch Ansprechpartner, wenn jemand gerne Ideen oder Projekte machen möchte und helft dann bei der Umsetzung?
Jörg Skriebeleit: Das ist genau die richtige Frage.
Jörg Skriebeleit: Und normalerweise, wenn man aus einer universitären Logik heraus denkt, dann schreibt man Drittmittelanträge, dann versucht man selber, Ideen zu generieren.
Jörg Skriebeleit: Das tun wir selbstverständlich auch.
Jörg Skriebeleit: Aber wir waren gerade gegründet,
Jörg Skriebeleit: es gingen den ersten Presseberichte durch, dass es jetzt in Regensburg an der Uni sowas gibt.
Jörg Skriebeleit: Und wir sind quasi überrannt worden schon mit Ideen, Anträgen, Dingen von außen.
Jörg Skriebeleit: Und das hat uns gezeigt, dass wir da einen sehr virulenten Punkt getroffen haben.
Jörg Skriebeleit: Der Begriff Erinnerungskultur, so indifferent und offen er ist und unpräzise – er mobilisiert ganz viel.
Jörg Skriebeleit: Unser erstes Projekt war ein großes Buchprojekt zur Erinnerungs- und Rezeptionsgeschichte
Jörg Skriebeleit: an die nationalsozialistischen Medizin- und Euthanasieverbrechen.
Jörg Skriebeleit: Ein riesen Drittmittelprojekt finanziert vom Bezirk Oberbayern.
Jörg Skriebeleit: Oberbayern, das muss man extra erwähnen.
Jörg Skriebeleit: Also die haben die LMU in München vor sich.
Jörg Skriebeleit: Der Bezirk Oberbayern kam direkt auf uns zu.
Jörg Skriebeleit: Jetzt über andere Gelder sollen wir erst einmal Pilotstudien anstoßen zum Thema Grünes Band.
Jörg Skriebeleit: Also Grenze, Area Studies, transnationale und transregionale Vernetzung.
Jörg Skriebeleit: Also solche Dinge passieren.
Jörg Skriebeleit: Wir versuchen tatsächlich auch Dinge, die an einem Ort wie an einer KZ-Gedenkstätte entstehen.
Jörg Skriebeleit: Und das ist nicht nur beinharte Opferforschung, sondern es ist auch ein kritischer Umgang, was das Thema Zeitzeugenschaft betrifft.
Jörg Skriebeleit: Wir haben zusammen mit einem jüdischen Museum in Österreich in Vorarlberg, dem jüdischen Museum in Hohenems, eine große Wandausstellung konzipiert, die also wirklich Deutschland- und Österreich-weit tourt.
Katharina Herkommer: Die gerade auch hier zu sehen ist...
Jörg Skriebeleit: Die gerade hier in Regensburg in der UB zu sehen ist.
Jörg Skriebeleit: Und mit diesem Großthema Zeitzeugenschaft haben wir hier einen Impuls gesetzt, der bis rein in die Slavistik..., also der wieder ganz unterschiedliche Formate von Lehre, Forschung und Beschäftigung anstößt.
Jörg Skriebeleit: Und das ist ja auch etwas, was die Universität hier auf dem Campus immer umtreibt:
Jörg Skriebeleit: Wie erreichen wir denn die Stadt?
Jörg Skriebeleit: Wie erreichen wir die Region?
Jörg Skriebeleit: Also nicht nur in Form unserer Student-/innen, sondern auch: wie kriegen wir den stadtgesellschaftlichen Diskurs mit rein?
Jörg Skriebeleit: Das ist uns hier wunderbar gelungen.
Jörg Skriebeleit: Also von bayernweiten Lehrerfortbildungen über Filmabende, über Filmgespräche, über Erzählcafés.
Jörg Skriebeleit: Und das stimmt uns sehr hoffnungsfroh.
Jörg Skriebeleit: Das war ja der Hintergrund der Frage.
Jörg Skriebeleit: Wir denken uns nicht nur coole Dinge aus, sondern wir nehmen einfach auch Dynamiken auf.
Katharina Herkommer: Und das nicht nur zum Thema Holocaust
Katharina Herkommer: – das ist ein zentrales Thema durch die Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte in Flossenbürg –
Katharina Herkommer: sondern ihr forscht auch zum Thema Erinnerung in der Geschichte und wie es heute ist.
Katharina Herkommer: Und du hast gerade gesagt, es gibt eben auch andere Themen, wie dieses Projekt zum Grünen Band.
Katharina Herkommer: Das müssen wir vielleicht nochmal genauer erklären, denn da weiß bestimmt nicht jeder und jede, was das ist und worum es da geht.
Katharina Herkommer: Ich finde es nämlich eine super interessante Sache, weil so viele Sachen reinspielen.
Jörg Skriebeleit: Ja, das Grüne Band, das wäre jetzt schon wieder ein Befund, wo wir weiter forschen könnten:
Jörg Skriebeleit: Also wem sagt das Thema Grünes Band was?
Jörg Skriebeleit: Oder das, was das Grüne Band erst produziert, der Eiserne Vorhang?
Jörg Skriebeleit: Also, zu der Frage: Das Grüne Band ist was, was in den 90er Jahren als Begriff, als Idee entsteht.
Jörg Skriebeleit: Hintergrund ist die Systemgrenze.
Jörg Skriebeleit: Also nicht nur die symbolische, sondern die reale Systemgrenze, die sich über den Eisernen Vorhang, also die Blockgrenze zwischen dem kommunistisch-sozialistischen Ost-, Mitteleuropa abbildet und Westeuropa. Die nicht nur durch Deutschland verlief, sondern die auch an der Ostsee bei den baltischen Staaten verlief, die sich bis zum Schwarzen Meer runterzieht, wenn man das verlängert.
Jörg Skriebeleit: Dadurch, dass das ein zwar militärisch multipel gesicherter und überformter Bereich war, der aber dann nach 89, 90 als realer Raum überwunden wurde, der aber nicht sofort beplant oder besiedelt wurde, ist dieser Begriff des Grünen Bandes entstanden.
Jörg Skriebeleit: Also eigentlich etwas, wo sich Natur in einem gewissen Rahmen entwickeln konnte wie an wenigen anderen Orten.
Katharina Herkommer: Also früher war dort die Grenze und man konnte natürlich nicht sein Häuschen zwei Meter vor die Grenze stellen.
Katharina Herkommer: Deswegen waren da davor wirklich unbesiedelte und unbebaute Streifen – keine Ahnung, mal 100 Meter breit, mal vielleicht einen Kilometer oder ich weiß nicht, was das breiteste ist.
Katharina Herkommer: Und nachdem der Eiserne Vorhang, die Grenzen weggefallen sind, war das also ein Brachland, wo man sagen konnte: Okay, was machen wir jetzt damit? Richtig?
Jörg Skriebeleit: Genau so, genau. Und aus diesem Brachland
Jörg Skriebeleit: – da kommt auch der Begriff 'Grün' her, also es war etwas, was erstmal nur Naturwissenschaftler, Ökologen, Umweltschützer beschäftigt hat –
Jörg Skriebeleit: gab es dann sehr, sehr bald aber Debatten – außerhalb Bayerns, lange, lange bevor Bayern das Grüne Band entdeckt hat –,
Jörg Skriebeleit: dass man das eben nicht nur als einen wiedergewonnenen Naturraum begreifen kann, sondern dass es auch ein Gewaltraum war, dass es ein über viele Jahrhunderte dauernder Kulturraum war: Begegnungszone, Kontaktfläche, und sich dort ganz, ganz viele Fragen aus sehr unterschiedlichen Disziplinen – da springe ich jetzt wieder hier an die Uni rein – verknüpfen lassen.
Jörg Skriebeleit: Also über das Thema des Anthropozäns, über das Thema von Konstruiertheit von Natur, tatsächlich auch über das Thema von einer Biologie, Flora und Fauna, die sich da entwickelt.
Jörg Skriebeleit: Und natürlich die Frage, wie wir mit einer wiedergewonnenen oder auf uns zufallenden kulturräumlichen Landschaft, wie wir damit umgehen.
Jörg Skriebeleit: Musealisieren wir die? Lassen wir die als Kulturraum? Ist vielleicht nicht Kultur eine Konstruktion, genauso wie Naturraum eine Konstruktion ist?
Jörg Skriebeleit: Und da versuchen wir jetzt so uns hineinzutasten auf ganz unterschiedlichen Ebenen.
Jörg Skriebeleit: Und das ist auch wichtig fürs Zentrum:
Jörg Skriebeleit: Wir versuchen nicht nur in unseren Formaten, die wir entwickeln, rauszugehen, sondern wir wollen Formate partizipativ entwickeln.
Jörg Skriebeleit: Wir haben eine Stelle, eine Pilotstelle bei uns am Zentrum.
Jörg Skriebeleit: Der Felix Bruckner ist da jetzt für ein Jahr drauf.
Jörg Skriebeleit: Und der begibt sich einfach in Grenzmuseen.
Jörg Skriebeleit: Der begibt sich auch ans Grüne Band.
Jörg Skriebeleit: Da gibt es so Formate, da kommen die Forstwirtschaftler zusammen.
Jörg Skriebeleit: Wir haben da unlängst ein Erzählcafé aufgebaut.
Jörg Skriebeleit: Wir versuchen, mit tschechischer und bayerischer... also nicht nur Erinnerung zu arbeiten, sondern auch mit dem, was sich da findet.
Jörg Skriebeleit: Und auf einmal ergeben sich so Dynamiken.
Jörg Skriebeleit: Wir wissen – auch das gehört zum Charakter des Zentrums – wir wissen noch gar nicht, was da rauskommt.
Jörg Skriebeleit: Wir wissen überhaupt nicht, ob da jemals eine Ausstellung rauskommen soll, oder vielleicht eine Doktorarbeit, oder vielleicht auch ein Diskurs, der das Thema Grünes Band anders in ein Bewusstsein spielt und notwendigerweise nicht nur in ein deutsches oder bayerisches, sondern auch in ein tschechisches, aber vielleicht auch in ein ganz anderes.
Jörg Skriebeleit: Denn diese Grenze, wenn man jetzt die bayerisch-böhmische Grenze nimmt, ist zum Thema Flucht, zum Thema Transit, zum Thema konstruierte Kriminalität oder reale Kriminalität, ist auf einmal ganz was anderes als Transitzone 1968, als Transitzone nach 1990, als Transitzone jetzt.
Jörg Skriebeleit: Also es geht uns – und das wäre das letzte vielleicht zu diesem Fragenkomplex – es geht uns in allen Dingen, die wir tun, um die Konstruiertheit von Kultur und um die Konstruiertheit auch von Erinnerungen.
Katharina Herkommer: Perfekte Überleitung:
Katharina Herkommer: Ich hätte nämlich jetzt direkt gefragt...: Also es ist ja sozusagen ein Museumsraum ohne Museum, dieses Grüne Band.
Katharina Herkommer: Also ich kann da eine Radltour an der Grenze entlang machen, ohne zu wissen, dass es die frühere Grenze war, wenn ich nie im Geschichtsunterricht aufgepasst habe oder einfach nicht so genau auf die Landkarte geguckt habe.
Katharina Herkommer: Ich kann aber auch... Vielleicht gibt es bestimmte Teilabschnitte, wo es dann zum Beispiel Tafeln geben wird, wo man was lesen kann oder so.
Katharina Herkommer: Und dann kann ich das als einen Museumsraum wahrnehmen oder eben wahrnehmen, dass die Natur dort anders ist als drei Kilometer weiter.
Katharina Herkommer: Je nachdem, wie informiert ich bin oder auch nicht.
Katharina Herkommer: Also es ist eine andere Art von Museum, als es vielleicht früher war oder vielleicht auch manche Leute in ihrer Vorstellung noch das Bild vom Museum so im Kopf haben.
Katharina Herkommer: Was denkst du denn:
Katharina Herkommer: Es gibt ja so ein Klischee –
Katharina Herkommer: also wenn man so sagt, nachts im Museum: Man hat diesen dunklen Raum mit langen hallenden Gängen, verstaubten Vitrinen, ganz viel Text, den man lesen muss, damit man irgendwas überhaupt nur anfangen kann mit den Gegenständen in diesen Vitrinen...
Katharina Herkommer: Ich weiß, es ist heute nicht mehr so.
Katharina Herkommer: Oder... ist es?
Katharina Herkommer: Er schaut so kritisch!
Katharina Herkommer: Ist es heute in manchen Museen noch so?
Katharina Herkommer: Und wenn nein, warum ist es trotzdem noch im Kopf von vielen Leuten?
Jörg Skriebeleit: Ich schaue überhaupt nicht kritisch!
Jörg Skriebeleit: Wir haben die Fragen ja nicht abgesprochen.
Jörg Skriebeleit: Das muss man für die Zuhörer/-innen dazusagen.
Jörg Skriebeleit: Also ich bin eigentlich begeistert über diese Frage.
Jörg Skriebeleit: Und nochmal zurück zu meiner Biografie.
Jörg Skriebeleit: Ich habe Kulturwissenschaften studiert und alle waren hellauf entsetzt.
Jörg Skriebeleit: Meine Oma hat immer gefragt: "Was wirst denn du dann, Jörg? Also um Gottes Willen!"
Jörg Skriebeleit: Und ich – einfach um sie zu beruhigen – habe gesagt: "Ich werd dann mal Museumsdirektor".
Jörg Skriebeleit: Das war was, was also nicht der Plan war.
Jörg Skriebeleit: Aber wir kommen zum Thema Museum.
Jörg Skriebeleit: Und vielleicht ein kurzer Sidekick auch an die Zuhörer/-innen, die sich vielleicht die Frage stellen: Was kann ich denn mit dem Studium, das mich interessiert, mal machen?...
Jörg Skriebeleit: Genau, einfach mal machen, also einfach offen sein!
Jörg Skriebeleit: Auch Arabesken studieren, die nicht notwendigerweise in die Arbeitslosigkeit führen müssen.
Jörg Skriebeleit: Man wird nicht Gedenkstättenleiter, weil man das plant, sondern weil es da Momente gibt, Timeslots gibt.
Jörg Skriebeleit: Natürlich kann man was dazu tun...
Jörg Skriebeleit: So, jetzt zum Museum zurück.
Jörg Skriebeleit: Wäre ich nicht Leiter einer KZ-Gedenkstätte geworden, was nicht der Plan war, wäre ich, glaube ich, oder hoffentlich im Museum gelandet, weil ich Museen extrem spannende Räume finde.
Jörg Skriebeleit: Und es gibt natürlich verstaubte Bilder von Museen.
Jörg Skriebeleit: Und es gibt ganz schreckliche Museen.
Jörg Skriebeleit: Und allein der Begriff musealisiert, ist ja schon negativ aufgeladen.
Jörg Skriebeleit: Museen sind für mich wahnsinnig spannende Räume.
Jörg Skriebeleit: Ob jetzt ein Stadtmuseum, ein historisches Museum, ein archäologisches Museum – nehm sie alle, wie du willst – sind wahnsinnig interessant, weil sie immer mehr auch nach außen gehen.
Jörg Skriebeleit: Weil sie Diskursräume sind.
Jörg Skriebeleit: Ich beobachte jetzt nicht nur die Gedenkstätten-Thematiken, sondern wenn wir den Diskurs in angloamerikanischen Museen betrachten, dann sind die eher... definieren sich immer offener auch als Community-Räume.
Jörg Skriebeleit: Die Museumshops, die Museumscafés sind Orte... die Foyers, die Umgebungen, die Vorräume sind etwas, was den Museumsbesuch schon eigentlich total mit vorbereitet, ergänzt oder im Idealfall vielleicht sogar ersetzt.
Jörg Skriebeleit: Das heißt, Museen müssen immer mehr Experimentierfelder sein, die sich nicht in Räume fassen lassen.
Katharina Herkommer: Aber ist es tatsächlich immer so viel Neues? Ich habe so ein bisschen darüber nachgedacht: Als wir unser Vorgespräch hatten, habe ich gesagt: "Dann macht ihr Führungen...", und dann hast du gesagt: "Nein, wir machen keine Führungen, wir machen Programme".
Katharina Herkommer: Und ich habe gedacht: ist das nicht so ein bisschen wie Cupcakes und Muffins?
Katharina Herkommer: Also früher hieß es Muffins und jetzt heißt es Cupcakes und dann ist es irgendwie hip und modern.
Katharina Herkommer: Also sind es wirklich neue Dinge oder sind es die gleichen Dinge, die man heute einfach nur in andere Worte kleidet oder in ein anderes Gewand?
Jörg Skriebeleit: Ich mache das ganz konkret an einem Beispiel:
Jörg Skriebeleit: Ich war einer der Projektleiter in einem großen Projekt in München zum Olympia-Attentat 1972.
Jörg Skriebeleit: Dem Angriff, der Geiselnahme und der Ermordung von israelischen Olympiasportlern durch palästinensische Terroristen.
Jörg Skriebeleit: Ich verwende diese Begriffe sehr bewusst.
Jörg Skriebeleit: Da gab es die Forderung, da müsse man etwas machen.
Jörg Skriebeleit: Es gab einen Jahrestag des Attentats.
Jörg Skriebeleit: Wir, die Projektgruppe, haben uns sehr früh entschieden, in einen öffentlichen Raum zu gehen.
Jörg Skriebeleit: Und zwar in den öffentlichen Raum des Münchner Olympiaparks.
Jörg Skriebeleit: Es hätte die Möglichkeit gegeben, in die Appartementhäuser reinzugehen, wo die Geiselnahme stattgefunden hat.
Jörg Skriebeleit: Das hat sich bei uns von Anfang an ausgeschlossen, weil wir auch keinen Voyeurismus bedienen wollen.
Jörg Skriebeleit: Sondern das war das erste Attentat, das weltweit – du hast in der Anmoderation 9/11 erwähnt, den 11. September...
Jörg Skriebeleit: Das Olympia-Attentat, auch im September, 1972, war das erste live übertragene Attentat jemals.
Jörg Skriebeleit: Die ersten Olympischen Spiele, die live übertragen wurden – auch dieses Attentat.
Jörg Skriebeleit: Das heißt, es hat Bilder davon gegeben, sehr, sehr viele Bilder, weltweite Bilder: Olympische Spiele.
Jörg Skriebeleit: Wir haben sehr früh entschieden, mit diesen Bildern zu arbeiten und uns selber in Distanz zu setzen und diese Bilder zu dekonstruieren.
Jörg Skriebeleit: Wir haben uns entschieden, kein Museum zu machen, sondern – auch der Begriff ist nicht ganz richtig – einen Erinnerungsort, der mitten im öffentlichen Raum ist.
Jörg Skriebeleit: Der Münchner Olympiapark heute ist was, da sind Jogger/-innen unterwegs, da sind Anwohner/-innen unterwegs, da laufen Leute zum Public Viewing, wie jetzt gerade, da laufen Leute, weil Großkonzerte sind.
Jörg Skriebeleit: Und in diesem öffentlichen Raum haben wir in diese idealisierte Olympialandschaft aus Hügeln – also die waren Bestandteil der Architektur – etwas hineingeschnitten.
Jörg Skriebeleit: Und zwar eine riesen Leinwand, die öffentlich zugänglich ist, die 24 Stunden läuft.
Jörg Skriebeleit: Empfehle ich jedem/jeder, der zuhört: Schaut euch das mal an.
Jörg Skriebeleit: Und wir haben sensationelle Reaktionen bis heute. Es ist vor einigen Jahren geöffnet worden, und jemand hat gesagt – und das ist genau der Kern deiner Frage: Hättet ihr eine Tür drumrum gebaut, durch die man durchgehen muss, und eine Wand – das Thema Sicherheit, schändet es jemand, war ein ganz großes... – hätten wir dem nachgegeben, hätten wir drei Viertel des Publikums nicht.
Jörg Skriebeleit: Also: man kann sowas auch als ein Museum im öffentlichen Raum definieren, wenn man will, man kann es als Erinnerungsort definieren.
Jörg Skriebeleit: Ich glaube, wir müssen eher Mauern einreißen, wir müssen eher Schwellen abschrauben, um dann, geschichtsvermittelnd, wie auch immer, anders zu spielen.
Jörg Skriebeleit: Das ist die Zukunft des Museums.
Jörg Skriebeleit: Das ist auch die Zukunft von Museen, die sich mit verbrecherischer Geschichte auseinandersetzen.
Katharina Herkommer: Und um auf die Frage davor zurückzukommen, als ich dich gefragt habe: Warum haben wir immer... oder warum haben viele Leute immernoch ein verstaubtes Bild von Museum im Kopf? Meinst du, dass genau diese Tür, die vor vielen Ausstellungen ist, genau dafür sorgt: dass die alten Bilder da bleiben?
Katharina Herkommer: Und je mehr dieser wirklich Schwellen im wahrsten Sinne des Wortes wegfallen, desto mehr Vorurteile von dem, was Museen halt so sind, werden auch eingebrochen?
Jörg Skriebeleit: Also ich bin jetzt mal sehr direkt und auch sehr lokal, ohne dass ich da jetzt irgendjemanden anklagen will oder in Verantwortung nehmen will.
Jörg Skriebeleit: Bei manchem Museum, auch hier in der Stadt Regensburg, wird es nicht reichen, einfach eine Tür aufzumachen.
Jörg Skriebeleit: Da ist es schon extrem wichtig auch was dahinter passiert und dann wiederum davor passiert.
Jörg Skriebeleit: Wir müssen Dinge ausprobieren, um zu merken, was funktioniert und was nicht funktioniert.
Jörg Skriebeleit: Wir müssen aber das Thema Geschichte, Erinnerung, Museum viel, viel größer begreifen, als nur: 'Ich schreibe einen Text, ich habe ein Objekt, ich stelle das aus'.
Jörg Skriebeleit: Das ist schon die Frage nach dem Objekt.
Jörg Skriebeleit: Das ist die Frage nach dem Blick aufs Objekt.
Jörg Skriebeleit: Das ist die Frage nach Text oder vielleicht gar kein Text.
Jörg Skriebeleit: Es ist nicht automatisch immer der digitale Reflex: 'Wir machen jetzt ein Audioguide und dann funktioniert das schon'.
Jörg Skriebeleit: Oder 'Wir machen eine TikTok-Story daraus'.
Jörg Skriebeleit: Man muss haptische Wahrnehmung, sinnliche Wahrnehmung... und das ist schon auch das, was ein Museum auszeichnet:
Jörg Skriebeleit: In einem Museum begibt man sich an einen Ort, egal wie offen die Tür ist.
Jörg Skriebeleit: Man begibt sich irgendwo hinein oder konfrontiert sich mit etwas, was man interessant findet.
Jörg Skriebeleit: Und die Wahrnehmung, die erste Wahrnehmung, die man hat... – das versuchen wir hier auch hoffentlich bald in einem Forschungsprojekt mit der Wahrnehmungspsychologie herauszufinden, auch nochmal mit einer anderen Datengrundlage, mit einem anderen disziplinären Blick drauf –
Jörg Skriebeleit: und es ist die Frage, die ich jetzt auch an die Hörerinnen spiele:
Jörg Skriebeleit: Was nimmt man in einem Museum wahr?
Jörg Skriebeleit: Das ist nicht die erste Ebene: der geschriebene Text.
Jörg Skriebeleit: Es ist vielleicht gar nicht die Information, die man mitnimmt, sondern es ist ein räumlicher Eindruck.
Jörg Skriebeleit: Es ist ein ästhetischer Eindruck.
Jörg Skriebeleit: Es ist ein sinnlicher Eindruck.
Jörg Skriebeleit: Es ist ein haptischer Eindruck.
Jörg Skriebeleit: Da bin ich irritiert worden.
Jörg Skriebeleit: Oder: Was ist denn da passiert mit Farbe und Objekt?
Jörg Skriebeleit: Was ist denn die Inszenierung von...?
Jörg Skriebeleit: Und das kann drinnen und draußen stattfinden.
Jörg Skriebeleit: So nehmen wir unsere Welt wahr.
Jörg Skriebeleit: Dinge davon kann man auch in einen digitalen Raum transportieren.
Jörg Skriebeleit: Idealerweise ist es aber eine Verschneidung, die den haptisch-realen Raum in seiner Mehrdeutigkeit ernst nimmt.
Jörg Skriebeleit: Und in einen Erkenntnisprozess fördert, der sich oft erst mal sinnlich erschließt.
Katharina Herkommer: Also du sagst, es reicht nicht, die Sachen öffentlich zugänglich zu machen, sondern man muss sich auch gut Gedanken machen, wie man die Dinge präsentiert und in welchen Räumen man sie präsentiert und was man präsentiert.
Katharina Herkommer: Aber das ist ja nicht das Einzige, worüber ihr nachdenkt, sondern ihr denkt – und das habe ich aus einem eurer Magazine, die ihr in Flossenbürg rausgebt – ihr denkt auch ganz viel über die Zielgruppen und über's Publikum nach.
Katharina Herkommer: Da gibt es ein paar interessante Beispiele, für die ihr die Programme gemacht habt,
Katharina Herkommer: zum Beispiel Fußballfans und amerikanische Soldaten.
Katharina Herkommer: Was hat es damit auf sich?
Katharina Herkommer: Wie denkt ihr solche verschiedenen Zielgruppen und warum wird das heute vielleicht mehr gemacht als früher?
Jörg Skriebeleit: Das eine ist was Aktives:
Jörg Skriebeleit: Wen hätten wir gerne bei uns?
Jörg Skriebeleit: Gegenüber welchen Zielgruppen öffnen wir uns sehr dezidiert.
Jörg Skriebeleit: Das andere ist aber die Empirie.
Jörg Skriebeleit: Auch jetzt wieder vielleicht eine zu steile These, aber ich würde sagen, ein ehemaliges Konzentrationslager, eine KZ-Gedenkstätte, ist vom Publikum her einer der diversesten Orte, die man haben kann.
Jörg Skriebeleit: Da kommen Menschen aus unterschiedlichsten Motivationen.
Jörg Skriebeleit: Flossenbürg ist eigentlich ein ganz guter Ort, obwohl er so peripher liegt, man könnte auch sagen, total in der Provinz.
Jörg Skriebeleit: Wer aber nach Flossenbürg kommt – ich lade jeden/jede ein – sieht, was da alles passiert:
Jörg Skriebeleit: Da kommen Integrationsklassen aus der Metropolregion Nürnberg.
Jörg Skriebeleit: Also die Metropolregion Nürnberg und der Stadtraum Nürnberg ist eines unserer, was schulische Gruppen betrifft, unserer Haupteinzugsgebiete – viel mehr noch als die Oberpfalz interessanterweise.
Jörg Skriebeleit: Es kommen Gruppen der Bayerischen Staatsforstenverwaltung.
Jörg Skriebeleit: Es kommen amerikanische GIs, weil Grafenwöhr ist nicht so weit – der größte Truppenübungsplatz der Vereinigten Staaten in Europa.
Jörg Skriebeleit: Wir liegen in der Nähe von zwei Autobahnkreuzen.
Jörg Skriebeleit: Flossenbürg ist fünf Kilometer von der tschechischen Grenze weg.
Jörg Skriebeleit: Es kommen polnische Angehörige der dritten Generation.
Jörg Skriebeleit: Alles das schlägt auf.
Jörg Skriebeleit: Und es kommen – sehr dezidiert und sehr verstärkt, weil wir das programmatisch machen – Menschen mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen.
Jörg Skriebeleit: Wir haben vor einigen Jahren sehr bewusst ein Café bei uns eröffnet.
Jörg Skriebeleit: Wir nennen das auch sehr programmatisch Museums-Café.
Jörg Skriebeleit: Das wird betrieben von Menschen mit sehr unterschiedlichen Beeinträchtigungen.
Jörg Skriebeleit: Das Heilpädagogische Zentrum in Irschenried betreibt das.
Jörg Skriebeleit: Und das hat einen Schwung ausgelöst von Menschen, die zu uns kommen, die sich vorher nicht getraut haben, weil sie sich ausgeschlossen fühlten.
Jörg Skriebeleit: Für die das Thema, also nicht nur KZ Flossenbürg dezidiert – was ist hier passiert – sondern das, was eigentlich die Baseline von diesem Thema ist: Menschenwürde... Wahrnehmung, Menschenwürde, größte Verachtung von Menschenwürde... die fühlen sich da angesprochen.
Jörg Skriebeleit: Und das meine ich mit Empirie: vor dem Hintergrund dessen, was an so einem Ort passiert. Was ich einfach, wenn ich aus meinem Fenster in Flossenbürg rausschaue, als Publikum da sehe.
Jörg Skriebeleit: Wir haben in sehr, sehr unterschiedliche Richtungen Angebote entwickelt.
Jörg Skriebeleit: Und es geht tatsächlich von Fußballfans, von Ultras, also nicht irgendwelche Fußballfans, sondern von unterschiedlichen Ultra-Gruppen, über amerikanische GIs, wo wir ein Programm anbieten, über Förderschulen, Integrationsklassen usw. usf. – spannend!
Katharina Herkommer: Macht ihr das in Kooperation mit denen?
Katharina Herkommer: Also sagt ihr: 'Was würde euch interessieren? Was braucht ihr? Warum macht ihr das überhaupt mit euren Gruppen?'
Katharina Herkommer: Oder sagt ihr: 'Wir könnten uns vorstellen, das wäre interessant für die...'?
Jörg Skriebeleit: Auf manche gehen wir offen zu.
Jörg Skriebeleit: Manche gehen offen auf uns zu.
Jörg Skriebeleit: Wir haben ein großes Projekt mit der Audi AG seit einigen Jahren: Die Audi AG sponsert – das ist jetzt keine Werbung, sondern nur ein Beispiel – sponsert uns seit einigen Jahren eine Stelle im Bildungsbereich, die dezidiert mit Auszubildenden, aber auch der mittleren Managementebene von Audi arbeitet.
Jörg Skriebeleit: Da geht es nicht um Geschichtsvermittlung – nur: was ist in Flossenbürg passiert, oder in diesem Außenlager-Kontext.
Jörg Skriebeleit: Das ist der Grund, warum Audi uns diese Stelle sponsert.
Jörg Skriebeleit: Denn ein Vorläufer der Audi AG, die Auto Union, in Sachsen beheimatet, hat 15.000 Flossenbürger KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter/-innen beschäftigt.
Jörg Skriebeleit: Und da entwickeln wir zusammen etwas, was wir vorher nie gehabt haben, mit einem Unternehmen zusammen.
Jörg Skriebeleit: Und dem, was ein Unternehmen ausmacht: von Azubis, die äußerst engagiert sind, über die mittlere Managementebene bis hin zum Betriebsrat.
Jörg Skriebeleit: Da lernen wir wahnsinnig viel, wie ein Großbetrieb tickt.
Jörg Skriebeleit: Und das übertragen wir auf andere Sachen.
Jörg Skriebeleit: Wir machen sehr, sehr dezidiert was mit Integrationsklassen aus dem Berufsschulzentrum Schwandorf.
Jörg Skriebeleit: Das wollen wir.
Jörg Skriebeleit: Großes Thema: Wie gehen wir in einer postmigrantischen Gesellschaft mit Diversität um?
Jörg Skriebeleit: Fußballfans, die sind auf uns zugekommen.
Jörg Skriebeleit: Also nicht St. Pauli, nicht Bayern München, also die eine politisch eh schon pointierte Fan-Szene haben, sondern der FC Augsburg zum Beispiel.
Jörg Skriebeleit: Ein Verein, der sehr schnell gewachsen ist, wo die Fan-Szene sich erstmal so definiert.
Jörg Skriebeleit: Wo stehen wir denn?
Jörg Skriebeleit: Und da geht es ums Verhandeln von: Ja, das, was uns verbindet, ist Fußball.
Jörg Skriebeleit: Und da darf es auch mal, und muss es auch härter zugehen – ich selber gehe regelmäßig ins Stadion und ich stehe immer, ich bin immer in Stehkurven und nicht nur bei St. Pauli –
Jörg Skriebeleit: aber welche Formen von Abwertung darf nicht passieren?
Jörg Skriebeleit: Auch wenn wir gegen den Gegner schreien.
Jörg Skriebeleit: Also so ein Commitment.
Jörg Skriebeleit: Und daraus, vor diesen zwei sehr unterschiedlichen Erfahrungen: Unternehmenskultur, Integrationsklasse, Fußballfans – drei unterschiedliche Erfahrungen – entwickeln wir wieder Bildungsprogramme, die schlicht heißen: 'Wie wollen wir leben?'
Jörg Skriebeleit: Also das ist ein Programm, bei uns buchbar – jeder/jede kann es sofort auf der Homepage finden – da geht es ums Commitment: Wie wollen wir leben?
Jörg Skriebeleit: Und das diskutiert vor dem Hintergrund der Folie eines Konzentrationslagers.
Jörg Skriebeleit: Also einem Ort, der für die größte Verletzung von Menschenwürde steht. Wo von außen definiert wird – von einem rassistischen, völkischen Regime – wer nicht dazugehören darf,
Jörg Skriebeleit: und alle diese Menschen in diesem negativen Ort KZ vernichtet werden sollen, ausgelöscht werden sollen – erst ihre Würde und dann sie als physische Person...
Jörg Skriebeleit: Wie wollen wir leben?
Jörg Skriebeleit: Und da werden auf einmal unterschiedliche kulturelle Hintergründe sichtbar.
Jörg Skriebeleit: Sie werden aber auch kommunizierbar.
Jörg Skriebeleit: Das heißt, wir bieten Programme an,
Jörg Skriebeleit: wir probieren Dinge aus
Jörg Skriebeleit: – manche funktionieren nicht so gut...
Jörg Skriebeleit: Aber da sind wir wieder bei dieser Museumsfrage, die eine methodische ist und eine vom Selbstverständnis:
Jörg Skriebeleit: Wir verstehen uns immer mehr als diskursive und kommunikative Orte.
Jörg Skriebeleit: Und jetzt wieder zurückgesprungen vielleicht ans Zentrum Erinnerungskultur:
Jörg Skriebeleit: Natürlich denken wir uns Forschungsagenden aus.
Jörg Skriebeleit: Wir wollen aber jetzt – das fängt gerade erst an in einem großen Projekt, das am Zentrum Erinnerungskultur angelagert ist – auch eine empirische Besucherevaluation machen, die gleichzeitig auch eine empirische Evaluation von Bildungsprozessen ist.
Jörg Skriebeleit: Wir wollen uns selber befragen, immer wieder kritisch befragen.
Jörg Skriebeleit: Und das mit vielen Kolleg/-innen, die hier an der Universität Regensburg wissenschaftlich, professionell einen anderen Blick auf uns haben.
Katharina Herkommer: Du hast mir gesagt, ihr wollt euch nicht nur befragen, sondern euch auch immer wieder neu beunruhigen.
Katharina Herkommer: Was meinst du damit?
Jörg Skriebeleit: Wir wollen uns nicht immer auf die Schulter klopfen oder klopfen lassen, weil wir jetzt in Flossenbürg oder hier mit dieser Zeitzeugenschafts-Ausstellung das ganz toll gemacht haben und alle sagen: Ja, so hat sich da noch nie jemand angenähert.
Jörg Skriebeleit: Zu viel Lob macht uns schon wieder skeptisch.
Jörg Skriebeleit: Wir versuchen jetzt wieder ganz konkret vor dem Hintergrund dieser Zeitzeugenschafts-Ausstellung, wo es ja eher darum ging – um die Gemachtheit, also um die Gemachtheit von Zeitzeugen-Interviews und auch die Gemachtheit des Begriffs Zeitzeugenschaft.
Jörg Skriebeleit: Und wie gehen wir denn mit diesen Menschen um?
Jörg Skriebeleit: Versuchen wir jetzt in Flossenbürg... da komme ich direkt her:
Jörg Skriebeleit: Also vor unserem Interview war ich jetzt direkt in einer Projekt- und Ausstellungssitzung.
Jörg Skriebeleit: Wir versuchen, einen Raum zu schaffen, der diese Hinterlassenschaften von ehemaligen KZ-Häftlingen aus diesem Flossenbürger KZ-System,... – wie können wir die für ein Publikum neu spielen?
Jörg Skriebeleit: Kein Film, keine Zeitzeugen-Stationen.
Jörg Skriebeleit: Eine Erfahrung, die... – ich finde da gar kein Wort drum: sie ist nicht multimedial, sie ist auch nicht immersiv.
Jörg Skriebeleit: Wir arbeiten da mit einem Gestaltungsbüro aus Stuttgart zusammen.
Jörg Skriebeleit: Wir haben uns dazu entschieden, Zeitzeugen-Interviews nicht als Talking Heads zu nehmen, sondern nur mit Ton zu arbeiten, mit Bildern und auch mit Audios, die wir komponieren wollen, ohne dass es überwältigend ist.
Jörg Skriebeleit: Und komponieren – ich verwende den Begriff sehr bewusst...: wir machen da nicht irgendwie Grafik, die wir umsetzen.
Jörg Skriebeleit: Wir machen nicht irgendwie einen Film, den wir zusammenschneiden.
Jörg Skriebeleit: Sondern wir versuchen, von sehr unterschiedlichen professionellen Ebenen her was zu komponieren – einen Raum, in dem Zeitzeugen vorkommen, was so noch nicht passiert ist.
Jörg Skriebeleit: Und das stellen wir dann der Öffentlichkeit, auch den Angehörigen dieser Menschen zur Diskussion.
Jörg Skriebeleit: Und wenn die das gut finden, dann freuen wir uns natürlich.
Jörg Skriebeleit: Und wir freuen uns auch auf Kritik.
Jörg Skriebeleit: Und wenn wir aber zu viel Lob kriegen, dann macht uns das skeptisch.
Jörg Skriebeleit: Da sind wir bei der Selbstbeunruhigung.
Jörg Skriebeleit: Dann merkt man: Wir müssen vielleicht wieder was anderes probieren.
Jörg Skriebeleit: Und – das vielleicht als letzten Satz dazu – wir sind uns total bewusst, dass Erinnerung und Erinnerungskultur immer nur ein Aggregatzustand ist.
Jörg Skriebeleit: Es ist nichts, wo man nur zurückschaut.
Jörg Skriebeleit: Es ist nichts, wo man sich auf die Schulter klopft.
Jörg Skriebeleit: Erinnerungskultur, ja auch das ist eine falsche Vorstellung, ist kein Masterplan.
Jörg Skriebeleit: Ich werde so oft eingeladen, ein Gutachten zu schreiben für die Kommune, die Kommune:
Jörg Skriebeleit: 'Sie haben das doch da und da gemacht.
Jörg Skriebeleit: Können Sie uns nicht quasi sagen, wie man es richtig macht?'
Jörg Skriebeleit: Erinnerungskultur kann man nicht richtig machen.
Jörg Skriebeleit: Und deswegen ist das, was von außen kommt – die Frage nach postkolonialer Repräsentation, die Frage auch nach den Nachkommen deutscher Vertriebener und Flüchtlinge aus Schlesien –
Jörg Skriebeleit: alles das ploppt auf, ist im Raum, ist zu werten.
Jörg Skriebeleit: Erinnerungskultur ist ein dynamischer Prozess, ist ein Aggregatszustand.
Jörg Skriebeleit: Und da bin ich sehr froh, dass ich da nicht nur wissenschaftlich darüber reden darf, sondern dass ich an einem Ort wie der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg arbeite, wo wir mit ganz unterschiedlichen Menschen, die unterschiedliche Ausbildungen haben, das immer wieder auch ausprobieren können.
Jörg Skriebeleit: Und ich glaube – jetzt tatsächlich als letztes – Flossenbürg eignet sich auch ganz gut, weil es nicht der große symbolische Ort wie Dachau ist.
Jörg Skriebeleit: Wir trauen uns das, aber wir können uns solche Sachen auch nur trauen, weil wir ein bisschen jenseits des Mainstreams, des Aufmerksamkeits-Mainstreams legen.
Jörg Skriebeleit: Und das ist eine ziemlich gute Position.
Katharina Herkommer: Erinnerungskultur muss immer wieder neu gedacht werden oder ist immer fluide, sagst du.
Katharina Herkommer: Mir ist auch wieder mal bewusst geworden, dass es auch von Land zu Land zum Beispiel so riesengroße Unterschiede gibt:
Katharina Herkommer: Ich hab ein Jahr in Dublin studiert und die Studis, mit denen ich da zum Teil im Kurs war, hatten so andere Erinnerungen, also hatten auch so einen anderen Geschichtsunterricht als ich.
Katharina Herkommer: Das hat mich damals fast ein bisschen vor den Kopf gestoßen, wie viel die aus unserer deutschen Geschichte nicht wissen.
Katharina Herkommer: Aber natürlich, die wissen dafür natürlich viel mehr aus ihrer irischen Geschichte als wir.
Katharina Herkommer: Aber es ist auch eine Generationenfrage, denke ich.
Katharina Herkommer: Denn du denkst jetzt für deine Generation das Erinnern neu, aber die nächste Generation steht ja schon in den Startlöchern, die eben ja auch wieder auf – wie ich es im Intro gesagt habe – Dinge, die für uns kollektives Erlebnis waren, jetzt schon wieder nur als Geschichte auf Ereignisse schauen.
Katharina Herkommer: Und weil diese neue Generation schon in den Startlöchern sitzt, habe ich, bevor wir uns jetzt hier im Studio getroffen haben, mich mit einer Mitarbeiterin von dir getroffen, mit Marie Ederer. Die studiert Public History, und sie arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft bei euch am Zentrum Erinnerungskultur.
Katharina Herkommer: Und Marie ist unter anderem mit zuständig für diese Ausstellung, über die wir jetzt schon öfter gesprochen haben, führt da Gruppen durch hier an der Uni – die Ausstellung 'Ende der Zeitzeugenschaft?'.
Katharina Herkommer: Und weil ich wissen wollte, warum sie als ganz junger Mensch sich so fürs Wachhalten der Geschichte interessiert und sich einsetzt, habe ich sie gleich danach gefragt.
Marie Ederer: Also ich glaube, mich hat Geschichte oder die Vergangenheit schon lange interessiert und oft waren das eben so populäre Formen von Umgang mit Vergangenheit oder Erinnerung.
Marie Ederer: Also Filme zum Beispiel, die auf wahren Begebenheiten beruhen oder auch Ausstellungen.
Marie Ederer: Also es war einfach ein sehr starkes persönliches Interesse und von daher war es irgendwie für mich dann auch logisch, dass ich mich auf diese öffentlichen Formen spezialisiere, sage ich mal.
Marie Ederer: Und zusätzlich dazu war es mir irgendwie wichtig, jetzt nicht nur an der Universität ganz viele theoretische Dinge über Geschichte und Umgang mit Vergangenheit, Erinnerung zu lernen, sondern auch das mal zu versuchen anzuwenden.
Marie Ederer: Und von daher habe ich dann angefangen – letztes Jahr – in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg Rundgänge mit Schulklassen zu machen nach so einer kurzen Ausbildung.
Marie Ederer: Einfach weil ich das mal ausprobieren wollte, wie das so für mich ist, wenn ich da so mit einer Gruppe in den Dialog komme.
Marie Ederer: Und von daher war es aufgrund der Erfahrung, die ich sehr positiv fand, für mich dann auch logisch, dass ich hier auch zum Beispiel viele Führungen mit Schulklassen durch die Ausstellung mache, weil es einfach auch total viel Spaß macht mit den Schüler/-innen, die hauptsächlich kommen, auch über ihre Vorstellungen von – in dem Fall – Zeitzeug/-innen zu sprechen.
Marie Ederer: Und das macht eigentlich immer ganz viel Spaß, muss ich sagen.
Katharina Herkommer: Und wenn du da mit den Schülerinnen und Schülern jetzt zum Beispiel in der KZ-Gedenkstätte bist oder auch mit Besuchern hier in der Ausstellung, was treibt dich da an?
Katharina Herkommer: Also bist du so jemand, der gerne einfach das, was sie weiß weitergibt oder geht es dir darum, dass du irgendwas vermitteln möchtest, oder...?
Marie Ederer: Also mir geht es nicht so darum, dass ich dann zwei Stunden irgendwie als Expertin einen Vortrag halte, sondern mir geht es vor allen Dingen darum, von diesen jungen Menschen auch zu erfahren in einem Gespräch, was ihnen wichtig ist.
Marie Ederer: Welche Vorstellungen haben sie von Zeitzeugenschaft zum Beispiel?
Marie Ederer: Da kommt ganz oft die Antwort: 'Für mich sind das alte Menschen, die halt ihre Lebensgeschichte erzählen'.
Marie Ederer: Und dann kommen wir zu der Frage: Warum sind die denn alt?
Marie Ederer: Warum liegt so viel Zeit zwischen dem Erlebten und dem Sprechen darüber zum Beispiel?
Marie Ederer: Und das finde ich eigentlich immer ganz schön.
Marie Ederer: Also natürlich geht es mir auch um Vermittlung der Geschichte und darum auch den Ort – also in Flossenbürg zum Beispiel – greifbar und verständlich zu machen.
Marie Ederer: Aber ich glaube, es ist ganz wichtig, auch den Schüler/-innen dieses Vertrauen entgegenzubringen und zu sagen: 'Hey, ich erzähle euch jetzt nicht nur was über die Geschichte, sondern ich will auch was von euch wissen'.
Katharina Herkommer: Gibt es da irgendwie eine Situation, die dir im Gedächtnis geblieben ist?
Katharina Herkommer: Irgendwas, wo du gesagt hast: 'Das hätte ich jetzt so gar nicht erwartet', oder was anders gelaufen ist, als du dachtest?
Marie Ederer: Es gab eine Situation, da fand ich die Reaktion einer Schülerin total cool, weil: ich spreche mit den Schüler/-innen immer darüber, was man denn alles bedenken muss, wenn man so ein Zeitzeugen-Interview organisiert – was da dazugehört.
Marie Ederer: Da muss man den Zeitzeugen oder die Zeitzeugin natürlich organisieren.
Marie Ederer: Das ist natürlich nicht mehr einfach.
Marie Ederer: Und dann braucht man vielleicht eine Kamera, man braucht einen geeigneten Raum.
Marie Ederer: Und dann geht es immer darum, dass der Zeitzeuge oder die Zeitzeugin vielleicht gar nicht dieselbe Sprache spricht zum Beispiel.
Marie Ederer: Und dann eben die Frage: Was macht man denn da?
Marie Ederer: Und ich hatte als Beispiel: Ihr sprecht alle Deutsch, Englisch könnt ihr noch ganz gut.
Marie Ederer: Das ist immer im Dialog mit den Schülern ganz lustig, das so zu machen.
Marie Ederer: Und dann habe ich gesagt: 'Ja, jetzt haben wir aber einen Zeitzeugen, der spricht nur Polnisch.'
Marie Ederer: Und dann kam gleich aus der Gruppe eine Schülerin, die gesagt hat: 'Ah, ich kann Polnisch.'
Marie Ederer: Und das war total cool irgendwie, weil ich ihr dann so die Rolle der Dolmetscherin und Übersetzerin zugewiesen habe.
Marie Ederer: Und das war so eine sehr sympathische Situation mit dieser Schulklasse.
Katharina Herkommer: Und so Anknüpfungspunkte sind bestimmt auch wichtig, oder?
Katharina Herkommer: Dass die Kids dann merken: 'Ah, da habe ich vielleicht eine Qualität, die hier gebraucht wird' oder so?
Marie Ederer: Ja, auf jeden Fall.
Marie Ederer: Also einerseits natürlich, weil sie jetzt zufällig diese Sprache gesprochen hat, aber ja, auch einfach diesen Bezug zur eigenen Lebensrealität der Schülerinnen herzustellen, ist, denke ich, ganz, ganz wichtig.
Marie Ederer: Ich glaube, viele Menschen – jetzt nicht nur Schülerinnen und Schüler – haben auch Erfahrungen, zum Beispiel mit Ausgrenzung, mit Vorurteilen oder Diskriminierung gemacht.
Marie Ederer: Oder waren selber Teil einer Gruppe, die jemand anderen ausgegrenzt hat.
Marie Ederer: Und das sind so Anknüpfungspunkte, wo man sehr gut natürlich auch über das Thema Verfolgung im Nationalsozialismus sprechen kann und von da aus dann weitergehen kann und tiefer ins Thema einsteigen kann.
Marie Ederer: Warum wurden Jüdinnen verfolgt?
Marie Ederer: Warum wurden Homosexuelle verfolgt?
Marie Ederer: Und ich denke, es ist ganz, ganz wichtig, dass wir nicht nur über die Vergangenheit sprechen, indem wir Wissen vermitteln über Daten und Fakten, sondern dass wir da auch offen dafür sind, anderen Menschen auch zuzuhören.
Katharina Herkommer: Trifft dich das auch manchmal?
Katharina Herkommer: Du beschäftigst dich ja viel auch mit negativen Geschehnissen in unserer Vergangenheit.
Katharina Herkommer: Manchmal denkt man vielleicht: 'Oh Gott, ich kann und will das alles gar nicht mehr hören'?
Marie Ederer: Ja, solche Momente gibt es natürlich auch.
Marie Ederer: Es gibt Momente in den Rundgängen, wo ich über bestimmte Themen sprechen kann.
Marie Ederer: Und ich kann das, ohne, dass ich überfordert bin von meinen eigenen Emotionen.
Marie Ederer: Und dann gibt es einen Tag, an dem ich es in dem Moment nicht schaffe.
Marie Ederer: Es ist oft Tagesform-abhängig tatsächlich.
Marie Ederer: Aber ich denke, ich mache das auch, weil es für mich ein wichtiges Thema ist, das weiterzugeben, was an diesen Orten oder in diesen Zeiten eben auch passiert ist.
Katharina Herkommer: Jetzt sind wir wieder hier im Studio mit Jörg Skriebeleit.
Katharina Herkommer: Aus der Ferne nochmal vielen Dank an Marie, dass sie sich die Zeit genommen hat für uns.
Katharina Herkommer: Denn wie ich gerade schon gesagt hab: Es ist ja eine Generationenfrage und du bist zwar beruflich damit beschäftigt, dich immer in andere Leute reinzuversetzen, dir zu überlegen: Wie könnten die was aufnehmen, was könnten die wie verstehen?
Katharina Herkommer: Du bist da bestimmt auch sehr gut drin, sonst würdest du deinen Job nicht so machen, wie du ihn machst.
Katharina Herkommer: Aber bist du auch immer mal wieder überrascht – kommt manchmal was ganz anders an, als du dir das gedacht hast?
Katharina Herkommer: Also wie manipulierbar und vorhersehbar ist das Antriggern von Erinnerungspunkten?
Jörg Skriebeleit: Haha, super.
Jörg Skriebeleit: Ich bin immer wieder überrascht.
Jörg Skriebeleit: Und eine Sache, die mir einfällt: also wir haben wirklich keine Ahnung von Mediennutzung.
Jörg Skriebeleit: Und wir haben keine Ahnung von Raum-, Orts- und Situationswahrnehmung von jungen Menschen.
Jörg Skriebeleit: Wir hatten auch mal so einen digitalen Versuch und dann hat eine der Schülerinnen auf ihr Handy geschaut und wir wollten ihr was ganz Tolles zeigen.
Jörg Skriebeleit: Und dann meinte sie: 'Wenn ich an so einem Ort bin, dann mag ich nicht wischen'.
Jörg Skriebeleit: So: Man denkt, man macht irgendwas jetzt generationsgerecht und es ist gar nicht so.
Jörg Skriebeleit: Also die Baseline ist, dass man mit Menschen konzipieren muss.
Jörg Skriebeleit: Wir haben da ein paar Projekte, und da haben wir auch die eine oder andere Auszeichnung gekriegt:
Jörg Skriebeleit: Keeping Memories, also so eine partizipative Entwicklung einer Lernbildungsplattform, wo von Anfang an Schüler/-innen mit dabei waren, Mediengestalter/-innen, Student/-innen – so.
Jörg Skriebeleit: Das andere ist Research Stories.
Jörg Skriebeleit: Da haben wir gerade einen digitalen Museums-Award gekriegt.
Katharina Herkommer: Nicht irgendeinen, der heißt DigAMus Award, und das ist eine Auszeichnung für die besten Digitalprojekte in Museen...
Jörg Skriebeleit: Das beantwortet aber deine Frage noch nicht.
Jörg Skriebeleit: Also es beantwortet was zur Digitalität.
Jörg Skriebeleit: Ja, wir sind schon auch überrascht und ich glaube, dieses Bewusstsein muss man auch weiter schaffen.
Jörg Skriebeleit: Es geht heute zum größten Teil überhaupt nicht mehr um historische Wissensvermittlung.
Jörg Skriebeleit: So bedeutsam wir das auch finden würden.
Jörg Skriebeleit: Aber die Erstprägung zum Thema Nationalsozialismus oder Menschheitsverbrechen findet nicht an einem Ort wie einer KZ-Gedenkstätte statt.
Jörg Skriebeleit: Die findet auch nicht zu anderen Themen in Museen statt, sondern die findet für viele Schülerinnen, Schüler, Student/-innen im digitalen Raum statt oder auch im analogen, auf jeden Fall im kommunikativen Raum.
Jörg Skriebeleit: Deswegen ist dieser Begriff der Kommunikation mir so wichtig und ist mir der Begriff auch der Irritation oder der Überraschung so wichtig.
Jörg Skriebeleit: Und ist mir auch der Begriff von sinnlicher Erfahrung...
Jörg Skriebeleit: Also wie gehe ich in eine Universität rein?
Jörg Skriebeleit: Wie sitzt mir die Dozentin gegenüber?
Jörg Skriebeleit: Wie spreche ich Menschen an?
Jörg Skriebeleit: Wie bringe ich Literatur weiter? Und so weiter...
Jörg Skriebeleit: Wir müssen uns viel, viel mehr methodischen Fragen stellen und öffnen, die wir eher nicht top-down, sondern bottom-up entwickeln müssen.
Jörg Skriebeleit: Das sind so Überraschungen.
Katharina Herkommer: Aber kann man auch ganz andere Sachen machen heute als früher?
Katharina Herkommer: Also bedingt sich das auch gegenseitig?
Katharina Herkommer: Du hast zum Beispiel euren TikTok-Kanal erwähnt.
Katharina Herkommer: Ich könnte mir vorstellen, dass jemand vor 20 Jahren gesagt hätte: 'Du kannst doch nicht mit so etwas wie dem Thema Holocaust auf so einer Plattform wie TikTok irgendwie Kurzvideos machen', oder so.
Jörg Skriebeleit: Wir waren da in einem Pilotprojekt dabei, auch mit der Hebrew University in Jerusalem.
Jörg Skriebeleit: Ich sehe das nach wie vor sehr skeptisch.
Jörg Skriebeleit: Die Kolleg/-innen, die dabei waren, waren auch skeptisch, aber sehen das Positive.
Jörg Skriebeleit: Was man kriegt, ist Reichweite.
Jörg Skriebeleit: Man kann es nicht nur den Idioten überlassen oder denen, die billig schnell Dinge produzieren.
Jörg Skriebeleit: Was eine Riesenherausforderung ist und wird, ist KI.
Jörg Skriebeleit: Also wir kriegen jetzt schon Anfragen:
Jörg Skriebeleit: Können wir nicht einen digitalen Zeitzeug entstehen lassen?
Jörg Skriebeleit: 'Können Sie uns nicht einfach fünf Quellen geben und wir konstruieren uns dann den idealen Holocaust-Survivor?'
Jörg Skriebeleit: Also Quellen, Kritik, Fiktionalität ist ein ganz großes Thema.
Jörg Skriebeleit: Und auch da müssen wir eher dekonstruieren.
Jörg Skriebeleit: Also Menschen, jungen Menschen, älteren Menschen zeigen, dass es nicht eine Wahrheit gibt, sondern viele Zugänge, auch wenn wir an einem realen, wahren Ort – also wie einem ehemaligen Konzentrationslager – arbeiten.
Jörg Skriebeleit: Das wird, glaube ich, in sehr, sehr vielen wissenschaftlichen Disziplinen und in Einrichtungen angewandter Wissens-, Geschichtsvermittlung... das wird eine sehr, sehr große Herausforderung sein: Wie wir noch viel, viel mehr kritische Wahrnehmungskompetenzen entwickeln, aus denen sich dann auch Werte formieren können – Werte unseres wissenschaftlichen Forschens, aber auch unseres menschlichen Zusammenlebens.
Jörg Skriebeleit: Das, würde ich sagen, ist so die große Kernaufgabe.
Jörg Skriebeleit: Und das können wir uns nicht nur in klugen, abgeschotteten Räumen wie einer Universität – selbst wenn sie sich öffnet – ausdenken.
Jörg Skriebeleit: Das können wir uns auch nicht nur ausdenken in einem auch geframeten musealen oder Gedenkstättenraum.
Jörg Skriebeleit: Wir müssen sehr dezidiert auch dahin gehen, was unsere Gesellschaft ausmacht, die sich auch dynamisch verändert.
Jörg Skriebeleit: Und wir müssen das klug vor dem Hintergrund einer Empirie weiterentwickeln.
Jörg Skriebeleit: Deswegen ist die Baseline dieses Zentrums Erinnerungskultur, das man vielleicht auch anders formulieren könnte, ein Zukunftsbewusstsein.
Jörg Skriebeleit: Das könnte auch Zentrum für Zukunftsbewusstsein heißen, weil: Die Zukunft ist in Erinnerung und der Vergangenheit auch immer drin.
Jörg Skriebeleit: Deswegen ist diese Baseline der Begriff des reflektierten Machens so gut.
Jörg Skriebeleit: Und da ist diese Kooperation von Uni Regensburg und Gedenkstätte Flossenbürg nicht nur formale Konstruktion, sondern was sich in den wenigen Jahren, in denen wir jetzt so bestehen und machen, schon bewährt, schon zeigt – und wir stehen erst am Anfang.
Jörg Skriebeleit: Wir machen erst die Fenster in die Potenziale auf und wir hoffen, dass noch ganz viele Türen aufgemacht werden in beide Richtungen.
Katharina Herkommer: Also weniger Rückblick im Erinnern als mehr aufs Hier und Jetzt und auch auf die Zukunft konzentrieren?
Katharina Herkommer: Ich gehe mal ketzerisch noch einen Schritt weiter.
Katharina Herkommer: Und zwar habe ich mir überlegt: Wir als Journalistinnen und Journalisten hinterfragen viele Dinge. Aber dann muss man sich an die eigene Nase packen, dass man manche Dinge auch gar nicht hinterfragt.
Katharina Herkommer: Für mich ist immer selbstverständlich: Natürlich ist Erinnerung wichtig.
Katharina Herkommer: Wir müssen wissen, wo wir herkommen, damit wir wissen, was zum Beispiel nie wieder passieren darf und so weiter.
Katharina Herkommer: Aber vielleicht funktioniert das Konzept, das wir jetzt gerade fahren, gar nicht so.
Katharina Herkommer: Woher sagen wir denn, dass das wirklich das Nonplusultra ist?
Katharina Herkommer: Wir sehen jetzt wieder einen Rechtsruck in den Europawahlen.
Katharina Herkommer: Wir haben so unsägliche Dinge wie dieses Sylt-Video und so weiter.
Katharina Herkommer: All die Menschen haben bestimmt schon mal Geschichtsunterricht gehabt oder was auch immer – und trotzdem passieren solche Dinge.
Katharina Herkommer: Und diejenigen, die sich für das Thema interessieren, gehen vielleicht in eine Ausstellung.
Katharina Herkommer: Und die, die sich nicht dafür interessieren, die erreicht man sowieso nicht.
Katharina Herkommer: Wenn man jetzt mal ein Gedankenexperiment macht und outside the box denkt: Wenn wir alles Geld, das wir in Museen, in Erinnerungsprojekte stecken, einfach nicht mehr in Erinnerung stecken würden, sondern in Jugendbildung, in Bildung allgemein, in Projekte, die Leuten das Gefühl geben: 'Du bist was wert, du bist wichtig für unsere Gesellschaft' – Leuten ein besseres Gefühl geben, dass sie einen Platz in unserer Gesellschaft haben... Wäre das Geld vielleicht nicht besser angelegt, als es in was zu stecken, an was zu erinnern, was vielleicht unsere Großeltern oder Urgroßeltern gemacht haben?
Jörg Skriebeleit: Da wär ich sofort dabei. Also das Geld woanders hinzustecken, wenn wir uns sicher wären, es würde dann funktionieren, unser Zusammenleben.
Jörg Skriebeleit: Aber das, was wir jetzt beobachten – also auf der politischen Ebene – ist ja nicht nur ein vermeintliches oder reales Scheitern von Erinnerungskultur, sondern ist ja viel komplexer.
Jörg Skriebeleit: Man könnte genauso sagen: 'Die Schulen sind gescheitert, die Universitäten sind gescheitert, die Kindergärten sind gescheitert, unsere Stammtische oder alle sozialen Netzwerke sind gescheitert'.
Jörg Skriebeleit: Es ist komplizierter und komplexer.
Jörg Skriebeleit: Ich will vielleicht ganz zurück zur Anfangsfrage springen und das auch an unsere Hörer/-innen stellen:
Jörg Skriebeleit: Das klingt nach einer Binse, kann man aber mit ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Theorien belegen...
Jörg Skriebeleit: Wir als Individuen, die wir unterwegs sind, die jetzt zuhören, sind nicht nur Individuen.
Jörg Skriebeleit: Wir sind in unseren Haltungen, in unseren Klamotten, in unseren Identitäten, in unseren Freundes-, Freundinnenkreisen geprägt.
Jörg Skriebeleit: Wir kommen woher und das macht unsere gegenwärtigen und weiteren Bewegungen auch mit aus.
Jörg Skriebeleit: Das ist die Binse.
Jörg Skriebeleit: Und wir merken ja täglich, dass je nach Herkunft – da meine ich jetzt gar nicht kulturelle Herkunft oder nationale, sondern auch die soziale Herkunft, die Interessen, die man über Geschwister, Eltern, was auch immer mitbringt – die prägen einen, also die Rückschau.
Jörg Skriebeleit: Darüber wird auch kommuniziert.
Jörg Skriebeleit: Und wenn es nur darum ist: 'Welchen Kaugummi hast denn du gegessen?',
Jörg Skriebeleit: oder 'Was gab es denn bei uns in Syrien nicht?'.
Jörg Skriebeleit: Und da brauchen wir gar nicht drüber sprechen: 'Wer ist denn wie antisemitisch oder wer ist denn wie queerfeindlich', oder so.
Jörg Skriebeleit: Es ist alles als Grundierung mit drin.
Jörg Skriebeleit: Also wir sind geprägt durch Kulturen, meistens nicht nur durch eine.
Jörg Skriebeleit: Kulturen begriffen als das, was uns formt.
Jörg Skriebeleit: Und wir existieren nicht nur in der Gegenwart und im Blick auf die Zukunft, sondern wir verhandeln darüber, wie wir denn gerne sein wollten.
Jörg Skriebeleit: Abschottend, offen-seiend, veränderungsdrängend.
Jörg Skriebeleit: Und da hilft eine Rückschau in unterschiedliche Vergangenheiten.
Jörg Skriebeleit: Da bin ich total bei dir:
Jörg Skriebeleit: Keine KZ-Gedenkstätte ist eine Läuterungsanstalt.
Jörg Skriebeleit: Das Hoffen auf erinnerungspolitische Marienerscheinungen ist vollkommen sinnlos.
Jörg Skriebeleit: Das passiert so nicht.
Jörg Skriebeleit: Aber es gibt Orte, an denen sich Gewaltgeschichte ereignet hat.
Jörg Skriebeleit: Ein ehemaliges Konzentrationslager ist einer.
Jörg Skriebeleit: Und dass man diesen Ort befragen kann oder an dem Ort Fragen stellen kann, zu anderen Menschen-Verbrechen.
Jörg Skriebeleit: Ich will nicht Menschheitsverbrechen sagen, sondern anderen Verbrechen.
Jörg Skriebeleit: Das ist die Erfahrung, die wir täglich machen mit Leuten, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen.
Jörg Skriebeleit: Das ist eine Überraschung – du hast vorher nach Überraschungen gefragt – womit man nicht rechnet:
Jörg Skriebeleit: Dass oftmals Schulklassen oder andere Gruppen, die einen sehr, sehr hohen postmigrantischen Anteil haben, anschlussfähiger sind als Gruppen, die sich aus der vermeintlichen deutschen Mehrheitsgesellschaft speisen – weil sie über eigene Ausgrenzungserfahrungen sprechen.
Jörg Skriebeleit: Da ist das Thema des Nationalsozialismus quasi nur die Grundierung, die Folie, vor der andere Sachen verhandelt werden.
Jörg Skriebeleit: Und wenn wir jetzt weiterspringen: 'Wie wollen wir denn zusammenleben?' – dann ist eine Beobachtung, dass es sehr, sehr oft tatsächlich um Geschlechter-Rollen, Geschlechter-Definitionen, Geschlechter-Konstruktionen geht, die in sehr unterschiedlichen Bildungs-, Kultur-, Diskurskreisen unterschiedlich verhandelt werden.
Jörg Skriebeleit: Und da sind wir am Existenziellen.
Jörg Skriebeleit: Da sind wir an der Universalität von Menschenrechten.
Jörg Skriebeleit: Da sind wir an Menschenwürde.
Jörg Skriebeleit: Und aus der Menschenwürde speist sich die Frage nach unserem gesellschaftlichen Zusammenleben... müssen, wollen?
Jörg Skriebeleit: Dahinter steht die Frage: Wer hat Chancen, an so einem Ort, an dem wir gerade sitzen – an einer Universität – zu landen?
Jörg Skriebeleit: Welche Rahmenbedingungen muss eine Universität schaffen?
Jörg Skriebeleit: Welchen Wert hat Bildung?
Jörg Skriebeleit: Und wie bindet sich das wieder zurück?
Jörg Skriebeleit: Nicht als etwas Elitäres. Das bindet sich wieder zurück an einen Planeten, auf dem wir leben und den wir ja irgendwie erhalten sollten, um weiter leben zu können.
Jörg Skriebeleit: Alle miteinander.
Jörg Skriebeleit: Also klingt jetzt sehr pathetisch, aber drunter würde ich es ungern machen...
Katharina Herkommer: Was wären denn – wir sind schon fast am Ende... – aber was wären denn für dich noch so Sachen, die du gerne umsetzen würdest in den nächsten Jahren?
Katharina Herkommer: Entweder in deiner Rolle als Museums- oder Ausstellungs-Mensch, Gedenkstätten-Mensch oder in den Kooperationen mit der Uni?
Katharina Herkommer: Hast du irgendwelche Visionen, wo du sagst: 'Vorher will ich niemals in Ruhestand gehen.'?
Jörg Skriebeleit: Hahaa, ui, das ist ganz arg schwierig.
Jörg Skriebeleit: Zu Flossenbürg befragt – klingt jetzt sehr banal:
Jörg Skriebeleit: Der ehemalige KZ-Steinbruch, 20 Hektar, der Grund, warum in Flossenbürg ein Konzentrationslager überhaupt gegründet worden ist, fällt an uns zurück.
Jörg Skriebeleit: Und wie konzipiert, definiert man so einen großen Ort?
Jörg Skriebeleit: Und das steht unter der großen Überschrift Memory Lab.
Jörg Skriebeleit: Also ein unfertiges Denkmal.
Jörg Skriebeleit: Das ist für mich in Flossenbürg die große dienstliche Herausforderung.
Katharina Herkommer: Auf die du dich freust oder die du fürchtest?
Jörg Skriebeleit: Auf die ich mich tatsächlich freue.
Jörg Skriebeleit: Und da geht es aber nicht nur um den Herrn Skriebeleit, sondern also das in aller Breite... also ganz viel mit reinzunehmen.
Jörg Skriebeleit: Da ist nicht einer, der den jetzt konzipiert.
Jörg Skriebeleit: Ganz im Gegenteil, da muss man sich zurücknehmen.
Jörg Skriebeleit: Ich freue mich hier an der Uni tatsächlich auf noch viel mehr Diversität, auf viele Experimente in praktischen öffentlichen Räumen, die ich mindestens europäisch denke.
Jörg Skriebeleit: Ich würde mich gerne aufmachen mit Studierenden, mit ganz unterschiedlichen Blicken und Herkünften, um Museen in Ruanda und in Asien anzuschauen, um da zu kommunizieren.
Jörg Skriebeleit: Das hat jetzt alles wieder mit Verbrechen zu tun.
Jörg Skriebeleit: Das ist das, wo ich herkomme, das ist das, was ich, glaube ich, auch mein Leben lang nicht mehr losbringen werde... Um zu überlegen, ob man aus solchen Verbrechen was lernen kann oder nicht.
Jörg Skriebeleit: Und was es denn heißt, mit einem auch so globaleren Blick draufzuschauen.
Jörg Skriebeleit: Ganz banal freue ich mich – und das ist vielleicht jetzt das Ausgleiten – freue ich mich jetzt auf eine Saison mit meinem St. Pauli in der ersten Liga,
Jörg Skriebeleit: um zu überlegen, was denn... wie man denn – also, und wir machen das Interview im Rahmen der Europameisterschaft – wie es uns denn gelingen kann – und da sind jetzt diese Fußball-Dinge nur ein Beispiel – wie es uns denn gelingen kann, ein kommunikatives Lagerfeuer – also Dinge, die uns alle gemeinsam betreffen – wie wir über und an einem gemeinsamen Lagerfeuer, das manchmal auch den Rauch einem in die Augen bläst, das er tränt – also es kann auch unangenehm sein – also wie wir gemeinschaftlich aus unterschiedlichen Dingen Sachen kommunizieren und dann weiterentwickeln, die uns alle betreffen.
Jörg Skriebeleit: Darauf würde ich mich freuen. Da ist Fußball eine Metapher – also es ist ein realer Ort, aber auch eine Metapher.
Jörg Skriebeleit: Die Uni ist auch ein realer Ort.
Jörg Skriebeleit: Das kriege ich, glaube ich... – also man merkt mir ja auch eine gewisse Getriebenheit an und eine gewisse weitere Neugier... –
Jörg Skriebeleit: Das ist etwas, was mich die nächsten Jahre sicher weiter beschäftigen wird, in ganz unterschiedlichen Formaten und in ganz unterschiedlichen Institutionen.
Katharina Herkommer: Dann wünsche ich dir ganz viele spannende und wohlwollende Gäste rund um dein Lagerfeuer!
Katharina Herkommer: Und bedanke mich, dass du hier bei uns im Studio warst: Jörg Skriebeleit – schön, dass du bei uns warst!
Jörg Skriebeleit: Vielen Dank für die Einladung und dieses sehr anregende Gespräch!
Katharina Herkommer: Und auch euch zu Hause vor den Lautsprechern oder unter den Kopfhörern:
Katharina Herkommer: Vielen Dank fürs Zuhören!
Katharina Herkommer: Wie immer: Wenn ihr Fragen oder Feedback habt, dann schreibt uns doch gerne an kontakt@ur.de.
Katharina Herkommer: Ich freue mich wirklich über Anregungen von euch.
Katharina Herkommer: Wir machen eine kleine Sommerpause im August und sind dann Ende September wieder für euch da.
Katharina Herkommer: In der Zwischenzeit könnt ihr uns gerne weiterempfehlen wenn ihr mögt oder uns abonnieren.
Katharina Herkommer: Macht euch eine gute Zeit den Sommer über. Bis ganz bald – ich sag Tschüß, liebe Gasthörerinnen und Gasthörer!
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